Kurztext:
Paul Albrecht bestimmte als Landrat von der Mitte des Jahres 1945 bis ins Jahr 1949 maßgeblich die Geschicke des Kreises Jerichow II. In dieser schwierigen unmittelbaren Nachkriegszeit ging er bei der Lösung der zahlreichen und zumeist schwerwiegenden Probleme und der Umsetzung seiner Ideen oft unkonventionelle Wege. Menschen die sich ihm zu widersetzen versuchten ließ er riegeros bekämpfen.
Paul Albrecht, Landrat des Kreises Jerichow II
War er der richtig Mann für die Zeit des schweren Neuanfangs ?
Von Hans- Jürgen Wodtke
Aufnahme von Paul Albrecht während seiner Zeit als Landrat im Kreis Jerichow II. (mi.) sowie zwei zeitgenössische Plakate. Sammlung: WodtkePaul Albrecht war ab dem 19. August 1945 Landrat im Kreis Jerichow II und behielt dies Position bis 1949 inne. Er stieg anschließend zum Ministerialdirektor im Innenministerium des Landes Sachsen-Anhalt in Halle (Saale) auf und hatte bis 1951 verschieden weitere Funktionen inne, bis er im Sommer des gleichen Jahres wegen verschiedener Anschuldigen aus der NS-Zeit seiner Ämter enthoben und aus der SED ausgeschlossen wurde. Erst 1957 gelang ihm eine erneute Wiederaufnahme in die Partei.
Paul Albrecht wurde am 07. Februar 1902 in Erfurt geboren und besuchte dort die Volksschule. Sein Vater war Arbeiter und seine Mutter Wäscherin. Albrecht erlernte in Erfurt den Beruf des Schlossers. Schon früh schloss er sich der Gewerkschaft an und wurde bald Gewerkschaftsfunktionär.
1929 nahm er als gewählter Vertreter an der 4. Arbeiterdeligiertenkonferenz in Moskau teil. Anschließend trat er der KPD bei. 1932 wurde er in den Preußischen Landtag gewählt und kandierte 1933 für den Reichstag. In der Nacht des Reichstagsbrandes wurde er verhaftet und für über ein Jahr im KZ Sonnenburg eingekerkert.
Danach stand er unter ständiger Polizeiaufsicht, wurde 1937 erneut verhaftet und im KZ Sachsenhausen eingekerkert. Nach sechs Monaten entlassen und unter verschärfte Polizeiaufsicht gestellt arbeitete er in einer Berliner Firma als Werkzeugmacher und gehörte weiterhin zum illegalen kommunistischen Widerstand. Als 1943 durch einen Luftangriff seine Wohnung zerstört wurde, siedelte seine Frau zu Verwandten nach Genthin über. Er musste zunächst in Berlin bleiben konnte sich aber im Februar 1945 illegal nach Genthin absetzen. Dort versteckten ihn Genthiner Bürger bis zum Einmarsch der Roten Armee am 06. Mai 1945.
Karriere von 1945 bis 1949
Durch intensive eigene Bemühungen und durch die Vermittlung von Freunden konnte Albrecht bereits sehr früh intensiven Kontakt zur sowjetischen Militärführung herstellen. So löste er bereits am 20. Mai 1945 den zuvor von der Roten Armee eingesetzten Bürgermeister Müller als Bürgermeister von Genthin ab. Durch die engen Kontakte zum damaligen 1. Kreiskommandanten von Jerichow II, dem Oberstleutnant Chernow, wurde er dann am 19. August 1945 zum Landrat für den Kreis Jerichow II berufen. Er löste seinen Vorgänger den Kommunisten Dr. Meyer ab. Dieser hatte erst das Amt am 06. Juli 1945 von seinem Vorgänger, dem 1. Nachkriegslandrat des Kreises Jerichow II nach dem Kriegsende übernommen. Die Aufgabe des Bürgermeisters von Genthin wurde dem Kommunisten Gustav Dittmann übertragen. Sein Stellvertreter wurde der Sozialdemokrat und spätere Landrat von Stendal, August Langnickel.
Albrecht konnte bereits im Juli 1945 die vollständige Demontage des Persil-Werkes durch die SMAD erfolgreich verhindern. Unter seiner Führung als Bürgermeister gelang es die schlimmsten Versorgungsengpässe in Genthin und im nahen Umfeld zu lindern und das wirtschaftliche Leben im bescheiden Umfang wieder in Gang zu setzen. Dabei bedeutete die Versorgung der unzähligen Flüchtlinge mit dem Allernötigsten gewaltige Anstrengungen für die junge und noch unerfahrene Stadtverwaltung.
Landrat Paul Albrecht
Mit der Übernahme des Landratsamtes von Jerichow II ergaben sich für Albrecht neue den gesamten Kreis und die darin lebenden Menschen betreffenden Aufgaben.
War es zunächst die Organisation der Einbringung der Ernte in einem regenreichen Sommer 1945, so folgte ab September des Jahres die bedingungslose Umsetzung der Bodenreform in den Dörfern des Kreises.
Albrecht und seine Vertrauten waren überwiegend Arbeiter mit geringer Schulbildung und hatten von den Zusammenhängen in der Landwirtschaft nur geringe Kenntnisse. Damit kam es bei der Durchführung der Bodenreform zwangsläufig zu zahlreichen Fehlentscheidungen, Härten für Betroffene und volkswirtschaftlichem Unsinn. In der Folge verschärfte sich die Versorgungssicherheit für den Kreis noch weiter.
Heute wissen wir das die Durchführung der Bodenreform in der sowjetischen Zone eine Entscheidung aus Moskau war. Damit gab es im Herbst 1945 im Osten keine Alternative zu deren Umsetzung. Allerdings waren die im Kreis Jerichow II in der Kommunalverwaltung eingesetzten Personen besonders ehrgeizige und damit auch willfährige Werkzeuge der Moskauer Politik. Sie sorgten unerbittlich und energisch sowie Härte für die Umsetzung der "Verordnung für die Bodenreform in der Provinz Sachsen“ vom 3. September 1945.
Bei der Bodenreform war Albrecht in seinem Element
Die Bodenreform bildete neben allem Unrecht, bis zur Willkür gegenüber den Enteigneten, auch eine Hoffnung für die bis dahin landlosen oder landarmen Bürgern des Kreises. Bot ihnen doch das zugeteilte Land die Chance nicht mehr Hungern zu müssen und eine Perspektive für ihr zukünftiges Leben.
Unter der Führung von Albrecht wurden im Kreis Jerichow II 45820 ha Land enteignet und an 7123 Familien, darunter 3391 Neubauern, aufgeteilt und vergeben.
Mit der Neuaufteilung der landwirtschaftlichen Nutzfläche war aber keineswegs deren Bewirtschaftung und damit die ausreichende Produktion von dringend im Kreis benötigten Nahrungsmitteln gesichert. Vergessen werden darf in diesem Zusammenhang auch nicht die gewaltige Mengen von Nahrungsmittel für die riesige Zahl der Soldaten der Roten Armee, die versorgt werden mussten. Deren Versorgung musste stets gesichert sein und das ohne Rücksicht auf die jeweilige labile Wirtschaftssituation.
In dem Beschluss zur Bodenform war auch die Bildung von regionalen Komitees der gegenseitigen Bauernhilfe verankert. Diese Komitees sollten besonders die Neubauern bei der Beschaffung von Zug- und Zuchttieren, Saatgut sowie Maschinen und Geräte unterstützen. Diese Einrichtungen waren jedoch 1945/46 wirtschaftlich noch sehr schwach und es bestanden auch nur geringe Möglichkeiten einer materiellen Unterstützung durch die kommunale Verwaltung. In dieser Situationen erließ Albrecht, ohne jegliche Rücksicht auf Eigentumsverhältnisse nehmend eine Anordnung zur Beschlagnahme von Traktoren, landwirtschaftlichen Maschinen und Geräten in den Dörfern des Kreises. Damit wurden besonders auf größeren Bauernwirtschaften, die nicht unter die Zwangsenteignung gefallen waren, Maschinen und Zugmittel beschlagnahmt und entschädigungslos enteignet. Die so "gewonnenen" Zugmittel und landwirtschaftlichen Geräte wurden dem regionalen Komitees der gegenseitigen Bauernhilfe übergeben. Diese vermieteten dann die Geräte einschließlich Fahrer, vorwiegend an die Neubauern.
Auf Albrechts Initiative entsteht eine erfolgreiche Jugendtraktorenbrigade
Im Frühjahr 1945 entstand auf Initiative von Albrecht eine Jugendtraktorenbrigade mit acht Traktoren und dazugehörenden Landmaschinen. Diese Jugendbrigade unterstütztet besonders die Neubauern unter anderem auch in den Dörfern Großwudicke, Buckow, Böhne, Schmetzdorf, Zollchow und Möthlitz bei der Frühjahrsbestellung. Die jungen Leute leisteten mit „ihrer“ Technik einen enorm wichtigen Beitrag, nicht nur für die jeweiligen jungen landwirtschaftlichen Betriebe, sondern schufen vielfach überhaupt erst die Voraussetzungen für eine erfolgreiche landwirtschaftliche Bewirtschaftung der Felder der Neubauern.
Regider Umgang mit Widersachern aber auch mit in Not-Geratene
Die Einführung des Abgabesolls brachte für viele landwirtschaftliche Betriebe zum Teil unverträgliche Härten. Dennoch wurde auf die Einhaltung der vom Landratsamt für jede Bauernwirtschaft festgelegten Abgaben landwirtschaftlicher Produkte mit aller Härte und unnachgiebig eingefordert. Auch die Neubauern fielen unter die Abgabepflicht, Soll genannt. Das Abgabesoll stand im Zusammenhang mit der landwirtschaftliche Nutzfläche und stieg progressiv mit der Betriebsgröße. Damit traf die Abgabepflicht die mittleren und besonders die größeren Wirtschaften. Bei Widersetzung drohte Verhaftung, Verurteilung und Inhaftierung. Auf Anweisung von Albrecht wurden derartige Urteile in allen Dörfern des Kreises Jerichow II zur Abschreckung ausgehangen.
Wenn man heute als später geborener ein Resümee über das Wirken von Paul Albrecht in der Zeit von 1945/46 geben will, hat man Mühe sich in die Zeit, die Situation und in die Zwänge zu versetzen in der sich damals solche Menschen wie Albrecht befanden. Er wurde durch die bescheidenen Verhältnisse der Kindheit und Jugend und durch sein unter dem deutschen Faschismus Erlebten für sein ganzes Leben geprägt. Er hat die Verfolgung und Ermordung anders Denkender erlebt und kannte Diktatur sowie Terror gegen das eigene Volk. Trotzdem hat auch er sich zum Teil der gleichen Instrumente beim schweren Aufbau nach dem 2. Weltkrieg und zur Sicherung seiner Macht bedient. Quellen belegen, dass er panisch mit anders Denkenden umging bzw. deren "Behandlung" mit Härte veranlasste.
Für ihn zählte nicht das fachliche Wissen und die Erfahrung, sondern an erster Stelle stand die Treue zur Partei bzw. zu deren Zielen.
Quellen belegen, dass durch dieses Verhalten von Albrecht positiv zur neuen Ordnung stehende Menschen aus dem Kreis Jerichow II vertrieben aber auch verhaftet und verurteilt wurden.
In einer Betrachtung zum Handel von Albrecht in dieser Zeit darf man aber auch nicht die Zwänge vergessen, in denen er sich befunden haben muss. Da waren auf der einen Seite die Forderungen der SMAD und deren bedingungslose Erfüllung.
Auf der anderen Seite standen, die immer noch starken bürgerlichen und reaktionären Kräfte die nur unter Zwang bereit waren von ihrer Position zurückzuweichen. Vergessen darf man auch nicht seine mangelnde Verwaltungserfahrung und die weitaus bessere Schulbildung, die so mancher seiner Widersacher besaß.
Was bleibt ?
Paul Albrecht als Parteiveteran in Genthin im Kreise von Genossen (1977) Foto: Archiv Wodtke Menschen wie Paul Albrecht ist es aber auch zu verdanken, dass das gesellschaftliche und organisatorische Chaos unmittelbar nach dem Kriegsende überwunden wurde und das unzählige entwurzelte Menschen wieder Lebensmut und eine Perspektive für ihr weiteres Leben bekamen. Besondere Verdienste haben sich Paul Albrecht und seine Mitstreiter auch beim Kampf gegen den Hunger in den Nachkriegsjahren verdient. Neben seinen organisatorischen und rhetorischen Fähigkeiten konnte Albrecht Menschen begeistern und motivieren. So hat er schon sehr schnell zuerst die Jugend von Genthin und später auch des gesamten Kreises Jerichow II für seine Ideen und für den Aufbau eines neuen Lebens im Landkreis begeistert.
Paul Albrecht verstarb im Alter von 83 Jahren, am 22. Mai 1985 in Halle (Saale). Die letzten Jahre seines Lebens litt er an einem schweren Herzleiden und war fast vollständig erblindet.
Erschienen mit geringfügigen Änderungen am 4. Oktober 2015 in der BRAWO
Quellen:
+ Die demokratische Bodenreform vom Verlag Volk und Wissen Volkseigener Verlag Berlin, 1952
+ Auf dem Wege zur revolutionären Arbeitereinheit von Paul Albrecht, Herausgegeben durch die
Kommission zur Erforschung der Gegenwart der Geschichte der örtlichen Arbeiterbewegung
der Kreisleitung Genthin, 1986
+ Grünes Herz zwischen Hoffnung und Abschied von Hubert Hundrieser, WAGE Verlag ,2005