Kurztext:
Die von der sowjetischen Militäradministration im Spätsommer 1945 in ihrem Einflussbereich angeordnete Bodenreform bedeutete eine tiefgreifende Veränderung bei den Besitzverhältnissen der betroffenen Großgrundbesitzern und Großbauern. Zudem zog die Reform im ländlichen Raum auch eine umfassend Veränderung der in Jahrhunderten gewachsenen Struktur, weit über die Besitzverhältnisse hinaus, nach sich. Bei der ehrgeizigen Bodenreformumsetzung gab es immer wieder Pannen …..
Vor 80 Jahren: Von den Sowjets verordnete Bodenreform in der SBZ
Umsetzung der Bodenreform ohne jegliche Ausnahmen
von Hans- Jürgen Wodtke
In der Zeit vom 14. 9. 1945 bis 20.11.1945 mussten die örtlichen Bodenkommissionen für die vorgabegerechte Aufteilung der enteigneten landwirtschaftlichen Nutzflächen, Gebäude, Geräte usw. in ihren Gemeinden sorgen. Bildcollage Wodtke
Machthaber fordern hohes Tempo bei der Bodenreformumsetzung
Am 2. September 1945 wurde im Hotel „Schwarzer Adler“ in Kyritz auf Anweisung der sowjetischen Militäradministration (SMAD) eine Bodenreform für die sowjetische Besatzungszone (SBZ) proklamiert. Der damalige Vorsitzende der Kommunistischen Partei Deutschlands, Wilhelm Pieck (KPD), verkündete der erstaunten Zuhörerschaft die Verordnung zur Neuverteilung von Grund und Boden in der SBZ. Von Stunde an verloren alle ostelbischen Großgrundbesitzer und -bauern mit mehr als 100 Hektar landwirtschaftlichem Besitz ohne Ausnahmen ihren Land- und Inventarbesitz. Enteignet wurden auch der Grund und Boden sowie weiterer Besitz von bereits bekannten oder vermeintlichen Kriegsverbrechern und Nazi-Führern. Heute geht man davon aus, dass von der Bodenreform etwa ein Drittel der landwirtschaftlichen Grundfläche in der SBZ betroffen war. Der so konfiszierte Grund- und Inventarbesitz wurde zunächst den neugebildeten lokalen Bodenkommissionen übertragen, die dann in aller Eile, im Kreis Jerichow II war das bis zum 20. November 1945, eine vollständige Neuverteilung an landarme Bauern sowie Flüchtlinge und Vertriebene vorzunehmen hatten.
Je nach politischem Lager wird die damalige Bodenreform sowohl als Unrecht wie auch als Chance betrachtet.
Anfangs hatten die Menschen noch große Schwierigkeiten sich vorzustellen, wie die Landwirtschaft und damit die Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln, ohne die seit eh und je das Leben in den Dörfern bestimmenden Großgrundbesitzer und -bauern funktionieren sollte. So war es kein Wunder, dass viele erst an eine Landwirtschaft mit Kolchosen nach sowjetischem Vorbild dachten. Heute weiß man, dass eine solche Lösung nicht in Stalins Interesse lag. Zu schlecht waren zu der Zeit bereits seine Erfahrungen mit der Zwangskollektivierung in der sowjetischen Landwirtschaft.
Landrat Albrecht demonstriert seine Macht
Am 14. September 1945 fand in Genthin, der Kreisstadt des einstigen Landkreises Jerichow II, eine richtungsweisende Versammlung mit weit über 100 Personen statt. Es ging um die praktische Umsetzung der nur wenige Tage zuvor verkündeten Bodenreform im Landkreis. Geladen waren die Mitglieder der frisch gebildeten Ortsbodenkommissionen aus 89 Gemeinden des zwischen Elbe und Havel gelegenen Kreises, auch Elb-Havel-Winkel genannt. Eingeladen hatte der erst seit vier Wochen im Amt tätige Landrat Paul Albrecht (KPD).
In der Einführung zu seinem längeren Referat schilderte er die damalige Situation wie folgt: „Im Kreis besaßen 86 Großgrundbesitzer 1,9 Prozent der landwirtschaftlichen Betriebe, das waren 36,6 Prozent des Bodens. Die kleinen Bauern unter 5 Hektar, die 55,5 Prozent der landwirtschaftlichen Betriebe bewirtschafteten, besaßen nur 4,9 Prozent der landwirtschaftlich nutzbaren Fläche.“
Nicht jeder der zu dem Zeitpunkt noch nicht geflohenen und unter die Bodenreform „gefallenen“ Altbesitzer war zu dem Zeitpunkt bereit die eigenen Güter und Höfe zu verlassen. Diese und ihre Angehörigen ließ Albrecht durch die Landpolizei festsetzen und auf das Schloss Brettin bringen. Hier belehrte man die Inhaftierten in zwei Versammlungen über den Inhalt zur Bodenreform. Anschließend wurde ihnen mitgeteilt, dass sie zur Sicherung einer reibungslosen Durchführung der Bodenreform aus ihren Gemeinden ausgewiesen und in einen andern Kreis gebracht werden. Nach mindestens vier Wochen könnten Sie dann, ihren Wünschen entsprechend, einen eigenen Wohnsitz wählen. Dieser musste sich aber mindestens 50 Kilometer Luftlinie von ihrer ehemaligen Gemeinde entfernt befinden.
Die Maßnahme, so verkündet Albrecht bei der Versammlung nicht ohne gewissen Stolz, verlief im Wesentlichen reibungslos. Nur die Freifrau Elsa von Bonin (Rittergut Brettin) machte Schwierigkeiten. Sie schreckte sogar nicht davor zurück, die Mitglieder der Bodenkommission tätlich anzugreifen und leistete bei der Räumung ihres Herrensitzes aktiven Widerstand. Anschließend gab sie die Erklärung ab, den Besitz unter keinen Umständen verlassen zu wollen, zog sich demonstrativ bis auf das Hemd aus und legte sich in ihr Bett. Auf Veranlassung von Albrecht wurde daraufhin Frau von Bonin mitsamt ihrem Bett von 6 Männern auf einen Wagen verladen und abtransportiert
Regide Umsetzung der Bodenreform
Rückblickend sind nur wenige weitere ernsthafte und Erfolg versprechende Bemühungen bekannt, in denen versucht wurde, die Umsetzung der Bodenreform in den Dörfern zumindest partiell aufzuhalten. So haben verschiedene Personen einige Anstrengungen unternommen, die Enteignung des Gutsbesitzers Dr. Oskar Mulert in Jerchel zu verhindern. Dabei hatte sich der damalige Präsident der Provinz Sachsen, Dr. Hübener, für die Aussetzung der Konfiskation des Jercheler Großgrundbesitzes besonders stark eingesetzt. Er begründete das damit, dass Dr. Mulert als ein aufrechter Demokrat gelte, der vor 1933 Präsident des deutschen und preußischen Reichsstädtetages war und nach der Machtergreifung der Nazis unter diesen in vielfältiger Weise gelitten hatte. „Jedoch auch für solche Fälle“, so Albrecht, sah die Verordnung zur Bodenreform keine Ausnahmen vor.“ In der Folge wurde der Antrag des Präsidenten kurze Zeit später ohne Erfolg abgeschmettert.
Probleme sind auch von der überaus zügigen Verteilung von Bodenreformland an geeignete Nachbesitzer auf dem Böhner Wilhelminenhof bekannt. Dort wurden zwei Neubauernwirtschaften, durchaus rechtskonform, an einstige der Gutsbesitzerfamilie Schmidt nahestehende Familienangehörige übergeben. Doch damit war die Kreis-Bodenkommission im Genthiner Landratsamt offensichtlich nicht einverstanden. Denn, so berichteten Zeitzeugen, ist es bereits wenige Tage nach dem 20. November 1945, dem offiziellen Stichtag für den Abschluss der Bodenreform in Böhne, zu einer vom Landratsamt angeordneten Rückabwicklung dieser Entscheidung gekommen. Treibender Teil war der sich in Sachen Alteigentümer besonders rigide aufführende Landrat Paul Albrecht. Über die wahren Gründe seiner weitreichenden Einflussnahme kann heute nur spekuliert werden. Vermutlich hat er dabei den beiden Neubauern die Nähe zur Familie Schmidt und deren nachgesagte enge Verbindung zum Nationalsozialismus zum Vorwurf gemacht. Als Beweis hierfür hielt er den vorherigen intensiven Kontakt der Schmidts zu der namhaften Nazigröße Hans Fritsche und dessen Geliebte Hildegard Springer für ausreichend.
Fritsche selbst musste sich zu diesem Zeitpunkt als Stellvertreter von Reichspropagandaminister Goebbels als Angeklagter vor dem Nürnberger Prozess verantworten. Für Albrecht war dies offensichtlich ein hinreichendes Zeichen dafür, dass alle im Umfeld des Inhaftierten als Kriegsverbrecher und damit nach den Richtlinien der Bodenreform als ungeeignete Empfänger von Bodenreformland abzustempeln waren.
Da von der übergeordneten Kreis-Bodenkommission streng über die erfolgreiche zeitnahe Abwicklung der von den Sowjets angeordneten Bodenreform in den Dörfern des Kreises geachtet wurde und jegliche Zuwiderhandlungen der Zeit entsprechend scharf geahndet werden konnten, hatte damit die Böhner Gemeinde-Bodenkommission ein schwieriges und dennoch schnell zu lösendes Problem „auf dem Tisch“. Gesucht wurde jedoch nicht nur schlechthin eine Lösung für die rückabgewickelten Neubauernstellen, sondern ein Vergaberesultat, welches bei dem jetzt im Bezug auf Böhne sensibilisierten Albrecht auch in Genthin auf Zustimmung fiel. Wie schwierig die Aufgabe zu lösen war, zeigt die Tatsache, dass es bis zum Frühjahr 1946 dauern sollte, bis die vakanten Neubauernstellen schließlich mit Albrechts „Segen“ an zwei Neubäuerinnen vergeben werden konnten.