Vor 80 Jahren begann die schmerzvolle Neuordnung Osteuropas
Hunderttausende in Trecks nach Westen
Von Hans-Jürgen Wodtke
 Mehr als 12 Millionen Deutschstämmige aus Ost- und Südosteuropa verloren ihre Heimat. Bildcollage: WodtkeAm 22. Juni 1941 überfiel das faschistische Deutschland  die sich in argloser Sicherheit wiegende Sowjetunion. Die deutschen Soldaten und ihre Verbündeten hinterließen von Beginn des Krieges an besonders unter der Zivilbevölkerung eine Schneise des Elends, der Versklavung und des Todes. Ab Sommer 1944 schlug das Pendel der Gewalt zurück. Die sowjetischen Truppen drängten die deutsche Wehrmacht bis an die Grenze Ostpreußens. Das NS-Regime verbot zunächst, mit wenigen Ausnahmen für die unmittelbare Grenzregion, Evakuierung und Flucht.
Mehr als 12 Millionen Deutschstämmige aus Ost- und Südosteuropa verloren ihre Heimat. Bildcollage: WodtkeAm 22. Juni 1941 überfiel das faschistische Deutschland  die sich in argloser Sicherheit wiegende Sowjetunion. Die deutschen Soldaten und ihre Verbündeten hinterließen von Beginn des Krieges an besonders unter der Zivilbevölkerung eine Schneise des Elends, der Versklavung und des Todes. Ab Sommer 1944 schlug das Pendel der Gewalt zurück. Die sowjetischen Truppen drängten die deutsche Wehrmacht bis an die Grenze Ostpreußens. Das NS-Regime verbot zunächst, mit wenigen Ausnahmen für die unmittelbare Grenzregion, Evakuierung und Flucht.
Heute steht der 12. Januar 1945 für einen entscheidenden Wendepunkt im Zweiten Weltkrieg in Europa. Die Rote Armee startete an dem Tag mit der Weichsel-Oder-Operation ihre großangelegte Winteroffensive gegen die deutsche Wehrmacht auf einer 1200 Kilometer breiten Front zwischen der Ostsee und den Karpaten.
Die sowjetischen Truppen durchbrachen in nur wenigen Tagen an entscheidenden Stellen die deutsche Front und stießen tief, Richtung Oder, in deutsches Gebiet vor. Rasch zeigte sich, dass die Wehrmacht den überlegenen sowjetischen Streitkräften nicht gewachsen war und sich in die Defensive zurückziehen musste.
Die deutsche Zivilbevölkerung in den bedrohten Gebieten begann, oft viel zu spät und zumeist schlecht vorbereitet, in großer Zahl zu fliehen, um den vorrückenden sowjetischen Truppen zu entkommen. Diese Fluchtbewegung sollte schließlich zur größten Massenflucht und humanitären Katastrophe in der Geschichte der Menschheit werden. Wer vorerst in der Heimat blieb, fand den Tod oder wurde beraubt, später vertrieben, verschleppt, Frauen und Mädchen nur zu oft systematisch vergewaltigt.
Dank der Überlegenheit an Panzern, Artillerie und Soldaten standen die vordersten Spitzen der Roten Armee bereits am 30. Januar 1945 bei Küstrin an der Oder.
Ost- und weite Teile Westpreußens, soweit noch nicht unter der Kontrolle der Sowjets, waren zu diesem Zeitpunkt von einer großen eisernen militärischen Klammer umfasst. Ein Ausbrechen aus dieser Umklammerung wurde für die Hunderttausende von panisch umherirrenden, fliehenden Ost- und Westpreußen von Tag zu Tag schwieriger. Zu ihnen gehörte auch die Familie Fröse, geflohen in zwei Etappen aus dem nordöstlichsten Zipfel Deutschlands, die schließlich eine neue Heimat im havelländischen Ohnewitz fanden. Ihnen blieb anfangs nur der äußerst gefährliche Weg über das Eis des 90 Kilometer langen und bis zu 15 Kilometer breiten zugefrorenen „Frischen Haffs“. Diese Odyssee blieb meinen Vorfahren, den Familien Machholz/ Wodtke erspart. Gelang es ihnen doch durch glückliche Umstände zwei wichtige Brücken, die über die Weichsel und die über die Nogat, noch kurz vor deren Sprengung zu passieren. Den eigentlich im Treck immer dicht hinter ihnen fahrenden Nachbarn war das durch widrige Umstände nicht gelungen und so mussten auch sie den Weg über das Eis wählen. Hier verliert sich, wie bei hunderten anderen, jegliche weitere Spur.
Einen letztendlich langen wie entbehrungsreichen und gefährlichen Weg musste die Familie Lieck mit der Besetzung Ihres Ortes Friedrichstein, dem einstigen Besitz von Marion Gräfin von Döhnhoff, unweit von Königsberg durchleben. Ihnen gelang die Flucht nicht und sie wurden von den Sowjets bis zum Frühjahr 1948 als billige und nahezu rechtlose Arbeitskräfte, im inzwischen Kaliningrader Oblast, festgehalten, bis sie in Bützer, im damaligen Kreis Jerichow II, ein neues Zuhause fanden.
Die Weichsel-Oder-Offensive am 12. Januar 1945 muss heute nicht nur als die vorletzte große Offensive der Roten Armee zur Niederschlagung des faschistischen Deutschlands gesehen werden, sondern war auch der Beginn einer beispiellosen Vertreibungskampagne deutscher Menschen aus zahlreichen Gebieten Ost- und Südeuropas. Dieser Tag war auch der Start zur Aufteilung und Neugliederung Osteuropas, was dazu führte, dass die Welt über Jahrzehnte in zwei antagonistische militärische Blöcke geteilt wurde.
Historiker gehen heute davon aus, dass mehr als 12 Millionen Deutsche im Zuge der Neugliede- rung Osteuropas ihre angestammte Heimat für immer verlassen mussten. Doch es traf nicht nur diese, sondern auch mindestens 1,7 Millionen Polen in Weißrussland und der Ukraine. Doch sollte man bei allem Leiden, dass Menschen anderen Menschen zugeführt haben, nicht vergessen: Der Anfang von all diesem war und bleibt der 1. September 1939 – der deutsche Überfall auf Polen.
Erschienen mit geringfügigen Änderungen am 22. März 2025 in der BRAWO, Lokalausgabe Rathenow