Kurztext:
Die einstigen beiden Nachbarkreise, Westhavelland und Jerichow II, wurden in der zweiten Hälfte der 1940er Jahre durch die beiden Landräte Albrecht und Gehrmann geführt.
Beide waren langjährige KPD-Mitglieder die sich nicht nur für die Bildung der SED, sondern auch für die erfolgreiche Umsetzung der Bodenreform einsetzten. Jedoch gab es hier bei den Beiden teils unterschiedliche Auffassungen.
Von 1945 bis 1950 hatte unsere Region zwei Landräte
Erinnerung an die Landräte der ersten Stunde, Paul Albrecht und Karl Gehrmann
von Hans- Jürgen Wodtke
1946 gehörten Orte des bis 1993 bestehenden Kreises Rathenow sowohl zu den Kreisen Westhavelland als auch zum Kreises Jerichow II. Anfang der 1950er Jahre wurden beide im Rahmen der Gebietsreform aufgelöst und die Gemeinden in neu gegründete Landreise, wie den Kreis Rathenow, überführt. Andere Dörfer und Städte des einstigen Kreises Westhavelland fielen an den Stadtkreis Brandenburg / Havel und den ebenfalls neu gegründeten Kreis Nauen. Die Orte aus dem Kreis Jerichow II „wanderten“ in die neugegründeten Kreise Genthin, Rathenow und Havelberg.
Die Landräte Albrecht und Gehrmann
Paul Albrecht und Karl Gehrmann, zwei Landräte der 1. Stunde. Sammlung Wodtke
Die Geschicke im Kreis Westhavelland bestimmte in der frühen Nachkriegszeit der damals 62- jährige, gebürtige Havelländer Karl Gehrmann und im benachbarten Kreis Jerichow II der aus Berlin stammende 44-jährige Paul Albrecht. Beide gehörten sie der Arbeiterklasse an, waren langjährige Mitglieder der KPD und in den 1920er und Anfang 1930er Jahren Mitglieder des Preußischen Landtages. Mit der Machtergreifung der Nationalsozialsten wurden sie verhaftet, gefoltert, längere Zeit eingekerkert und dann unter strengen Auflagen entlassen. Fortan setzten sie ihre politische Arbeit, soweit es ihre Möglichkeiten zuließen, illegal an ihren Heimatorten bis zum Ende des II. Weltkrieges fort.
Paul Albrecht floh in den letzten Wochen des Krieges aus Berlin nach Genthin und versteckte sich dort erfolgreich bis zum Eintreffen der Roten Armee. Schon bald wurde er vom damaligen sowjetischen Stadtkommandanten zum Bürgermeister von Genthin und dann Mitte August’45 zum Landrat des Kreises Jerichow II ernannt.
Karl Gehrmann wurde bereits am 8. Mai 1945 vom sowjetischen Stadtkommandanten als Bürgermeister von Rathenow eingesetzt. Wenige Wochen später ernannte ihn dieser zum Landrat des Kreises Westhavelland. Sein Stellvertreter war kurzzeitig der vier Jahre jüngere Paul Szillat (SPD), der dann bis zu seiner Verhaftung 1950 die Geschicke der Stadt als Oberbürgermeister leitete.
Für beide Landräte stand in der unmittelbaren Nachkriegszeit die Sicherstellung der Nahrungsmittelversorgung für die einheimische Bevölkerung und die unzähligen gestrandeten Flüchtlinge im Vordergrund. Besonders für diese galt es auch, vor dem herannahenden Winter halbwegs menschenwürdige Unterkünfte zu requirieren. Ab September 1945 setzten sie die von der sowjetischen Militäradministration (SMAD) angewiesenen Bodenreform in den Kreisen durch. Anschließend koordinierten sie die Vergabe des enteigneten Grund und Bodens sowie der beschlagnahmten Geräte, Saatgut und Nutztiere an landarme Bauern und Neubauern.
Unterschiedlicher Umgang mit der Bodenreform
Während Landrat Albrecht in seinem Landkreis bei der Enteignung rigoros gegen alle Verweiger vorging und auch nicht die geringsten Ausnahmen zuließ, zeigte sich Karl Gehrmann da nachsichtiger. So setzte Albrecht, trotz zahlreicher Fürbitten und gegen den Wunsch des damaligen Präsidenten der Provinz Sachsen, Dr. Hübener durch, dass der Gutsbesitzer und Antifaschist Muhlert aus Jerchel enteignet wurde. Hier hätte er durchaus Spielräume gehabt, wie Beispiele aus dem Westhavelland zeigen, wenn er es nur gewollt hätte. So wurde am 21.September 1945 auch die Familie von Ribbeck enteignet und zum Verlassen des Ortes gezwungen. Dagegen legte Henning von Ribbeck bei der Ortsbodenkommission Widerspruch mit dem Hinweis auf die von seiner Familie gelebte und belegte antinationalsozialistische Gesinnung ein. Dem Einspruch wurde von der brandenburgischen Landesregierung letztendlich teilweise stattgegeben. Die von Ribbecks erhielten fortan das Recht, einige Gebäude ihres einstigen Besitzes weiter zu nutzen. Außerdem wurden ihnen 15 ha Land von ihrem Restgut belassen. Das war überdurchschnittlich viel Land und bedeutete nach den damals gesetzten Kriterien, dass die von Ribbecks jetzt über einen Großbauernhof verfügten. In dem Buch „Adel und Staatsverwaltung in Brandenburg im 19. und 20. Jahrhundert“ heißt es weiter: Ribbeck war nicht der einzige Ausnahmefall im Kreis Westhavelland. Neben Eva von Hagen, die in Rhinow Wohnhaus, Garten und 5 ha Land behielt, wurde auch Dr. Lothar Kreyssig in Hohenferchesar „in Anerkennung seiner antifaschistischen Haltung“ ein Resthof von 10ha und 4ha Wald sowie Wohnhaus und andere Gebäude überlassen.
Auch eine erneute Enteignung „übereifriger Kräfte“ im Februar 1946, die die von Ribbecks von ihrem überlassenen Grundeigentum zu vertreiben versuchten, wurde vom westhavelländischen Landratsamt abgeschmettert. Doch mit dem dann von der SMAD erlassenen Befehl 6080 vom 27. August 1947 wurden die politisch verantwortlichen im Landratsamt in die Schranken verwiesen und mussten die Enteignung auch der von Ribbecks vornehmen.
Opfer des Stalinismus
Sowohl Albrecht als auch Gehrmann, trieben 1945/46 in ihrer Funktion als Landräte die Vereinigung von SPD und KPD in ihrem politischen Einflussbereich voran. Beide waren davon überzeugt und machten aus ihrer Meinung auch keinen Hehl, dass sich alle Mitglieder der SPD vor der Vereinigung zur Diktatur des Proletariats bekennen sollten und die KPD die Führungsrolle in der neuen Partei übernehmen sollte. Ein Tenor, der ganz im Sinne der SMAD war. Diese Meinung führte damals in den Diskussionen zu heftigen Auseinandersetzungen mit den SPD-Mitgliedern und brachte letztendlich ein vorübergehendes Einlenken von Albrecht, Gehrmann und Genossen. Nachdem auch noch die letzten sich renitent wehrenden SPD-Mitglieder durch von der SMAD gesteuerte Aktivitäten auf “Linie“ gebracht waren, konnte am 24. März 1946 im Union-Theater in Genthin und im Rathenower Kino „Bellevue“ die Vereinigung auf den Kreisebenen vollzogen werden.
Nur wenige Tage später, am 27. Mai 1946, wurde Karl Gehrmann vom Amt des Landrates für das Westhavelland entbunden. Zu den Gründen für seine Abberufung lässt sich heute wenig sagen. In der Literatur findet man unter anderem Hinweise auf Meinungsverschiedenheit mit den Entscheidungsträgern der SMAD und mangelnde Verwaltungserfahrung. Er wurde zunächst persönlicher Referent des brandenburgischen Ministers Rau und später Referent bzw. Oberreferent und Leiter der Abteilung Land- und Forstwirtschaft im brandenburgischen Wirtschaftsministerium in Potsdam. Diese Funktion hatte er bis zum 30. September 1950, bis zu seiner eigenen Kündigung aus gesundheitlichen Gründen, inne. Mit seiner Abdankung kam er vermutlich einer Kündigung zuvor. So hieß es damals, „es gebe heftige Kritik an seiner Amtsführung“. Jedoch fiel er vermutlich den zu jener Zeit wütenden stalinistischen Säuberungsaktionen zum Opfer. Er zog sich nun mit 66 Jahren in den Ruhestand zurück und leitete die Dienststelle des VVN (Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes) in Rathenow. Auch in den letzten Monaten seines Lebens setzte er sich kritisch mit den immer mehr unter dem Einfluss Moskaus stehenden Veränderungen in seiner Partei und der Gesellschaft auseinander. Karl Gehrmann verstarb mit 69 Jahren am 27. Juli 1953. Sein Name steht auf einem Stein im Ehrenhain auf dem städtischen Rathenower Friedhof und in Rathenow-Ost. Zudem ist eine Straße nach ihm benannt.
Paul Albrecht verließ 1949 Genthin und stieg zum Ministerialdirektor im Innenministerium des Landes Sachsen-Anhalt in Halle (Saale) auf. Doch auch er sollte wenig später nicht von den stalinistischen Säuberungen verschont bleiben. So fiel er auf Veranlassung der Sowjetischen Kontrollkommission (SSK) 1951 in politische Ungnade, wurde aus der SED ausgeschlossen und aus bis heute ungeklärten Umständen nicht, wie viele andere damals, inhaftiert. 1957 schließlich wieder rehabilitiert, konnte er erneut in die Partei eintreten. In den weiteren Jahren erhielt Albrecht für seine „unermüdliche politische Arbeit“ zahlreiche hohe staatliche Auszeichnungen. Die letzten Jahre seines Lebens litt er an einem schweren Herzleiden und war fast vollständig erblindet. Er verstarb im Alter von 83 Jahren, am 22. Mai 1985 in Halle (Saale).
Erschienen mit geringfügigen Änderungen am 24. April 2016 in der BRAWO
Quellen:
- „Adel und Staatsverwaltung in Brandenburg im 19. und 20. Jahrhundert - Ein historischer Vergleich“, Hrsg. v. Kurt Adamy u. Kristina Hübener , Potsdamer Historische Studien Bd.2
- "Paul Albrecht, Landrat des Kreises Jerichow II“ von Hans- Jürgen Wodtke, BRAWO vom 04.10.2015
- Daten- und Dokumentensammlung zu Karl Gehrmann von Karl-Reinhold Granzow
- „Drei Revolutionen und ihr Wiederschein in Rathenow“ von Dieter Seeger
Hintergrundwissen:
Der Kreis Jerichow II bestand aus 88 Dörfern, den beiden Kleinstädten Jerichow und Sandau sowie der Kreisstadt Genthin. Ab 1950 hieß der Kreis Genthin. Mit der dann folgenden Gebietsreform wurden 1952 die Dörfer Bahnitz, Möthlitz, Nitzahn, Knoblauch, Jerchel, Milow, Steckelsdorf, Neue Schleuse, Grütz, Ebelgünde und Göttlin aus dem Kreis Jerichow II aus- und dem Kreis Rathenow angegliedert.
Die Orte Bützer, Böhne, Vieritz, Zollchow, Schmetzdorf, Großwudicke und Buckow kamen bis 1957/58 erst noch zum Kreis Havelberg und wurden dann auch dem Kreis Rathenow zugeordnet.