Kurztext:
Für die gesamte SBZ wurde am 2. September 1945 in Kyritz die Bodenreform verkündet. Danach kam es in der sowjetischen Einflusszone zügig zur Enteignung der betroffen landwirtschaftlichen Großbetriebe und Naziaktivisten. In der Folge entstanden viele kleinere landwirtschaftliche Betriebe, auf die das enteignete Land und Inventar aufgeteilt wurde. Mit den enteigneten Besitzungen verschwanden auch alle die Region lange prägenden Adelsgeschlechter.........
Bodenreform- Unrecht und Chance zugleich
Im September 1945 begann die Zerstörung der bisherigen ländlichen Strukturen in der Region
von Hans- Jürgen Wodtke
Am 2. September 1945 wurde im Hotel „Schwarzer Adler“ in Kyritz eine Bodenreform für den Bereich der sowjetischen Besatzungszone (SBZ) proklamiert. Der damalige Vorsitzende der Kommunistischen Partei Deutschlands, Wilhelm Pieck, verkündete der erstaunten Zuhörerschaft die Verordnung zur Neuverteilung von Grund und Boden in der SBZ. Von Stund an verloren alle ostelbischen Großgrundbesitzer und -bauern mit mehr als 100 Hektar landwirtschaftlichem Besitz ohne Ausnahmen ihren Land- und Inventarbesitz. Enteignet wurden auch der Grund und Boden sowie weiterer Besitz von bereits bekannten oder vermeintlichen Kriegsverbrechern und Nazi-Führern. Dieser Grund- und Inventarbesitz wurde zunächst den neugebildeten lokalen Bodenfonds übertragen, die dann später eine Neuverteilung vornahmen. Je nach politischem Lager wird die Reform als Unrecht oder als Chance betrachtet.
Die Bodereform in den Kreisen Westhavelland und Jerichow II
In unserer Region war die Anzahl der enteigneten landwirtschaftlichen Betriebe in den einzelnen Orten recht unterschiedlich. Traf es in Barnewitz neun und in Marzahne sowie Döberitz jeweils fünf Besitzer, so waren es in Böhne nur zwei. Das waren Mathilde von Kluge und die Familie Hermann Schmidt. Beide Güter wurden mit dem 6. September 1945 entschädigungslos enteignet. Danach durften die einstigen Eigentümer weder totes noch lebendes zum Gut gehörendes Inventar an sich nehmen. Außerdem untersagte man ihnen alsbald den weiteren Aufenthalt auf ihren angestammten Besitzungen.
Der zur Verwaltung des Gutes Böhne von Mathilde von Kluge eingesetzte Otto Rahtgens, wie auch die Familie Schmidt auf dem Wilhelminenhof, hatten bis zu ihrer Vertreibung vergeblich versucht, die Besitzungen vor der Enteignung zu bewahren.
Des einen Verlust, dem anderen eine Chance
Im Zuge der Bodenreform entstanden aus dem Böhner Gut 26 Neubauernstellen. Hier erhielten mindestens zehn Flüchtlingsfamilien (jetzt von den politischen Machthabern Umsiedler genannt) oder andere „Neuankömmlinge" die Chance, eine neue Existenz zu gründen.
Das Gut Wilhelminenhof wurde unter elf Neubauern aufgeteilt. Auf dem unmittelbaren Hofgelände des Gutes entstanden bis Mitte 1946 sieben Neubauernstellen. Unter den Neubauern des einstigen Wilhelminenhofer Gutes befanden sich sieben Flüchtlingsfamilien.
1930 hatte Mathilde von Kluge das Gut Böhne von ihrem Onkel Robert von Briesen nach dessen Tod geerbt. Kirchenurkundlich wurde der Gutsbesitz Böhne erstmalig 1446 erwähnt. Mit der Enteignung des Gutes ging damit eine mehrere Jahrhunderte andauernde Epoche der Familien von Briest, von Briesen und von Kluge am Standort Böhne für immer zu Ende.
Neben dieser alten havelländischen Adelslinie verschwanden durch die Enteignung noch zahlreiche andere, lange die Geschicke der Gegend bestimmende Adelsgeschlechter, wie die von der Recke, von Knoblauch, von Graefe, von Schnehen, von Katte, von Bredow, von Westernholt, von der Hagen, von Gothard u.a. für immer oder auf sehr lange Zeit aus der Region.
Erschienen mit geringfügigen Änderungen am 6. September 2015 in der BRAWO, Lokalausgabe Rathenow