Kurztext:
Die Aufzeichnungen des einstigen Böhner Gutsverwalters Otto Rahtgens geben einen tiefen Einblick in die unmittelbare Zeit der angeordneten Bodenreform im Haveldorf. Diese belegen auch, dass es durchaus nicht nur die Besatzer waren, die sich am Gutseigentum vergingen, sondern auch zahlreiche „liebe“ Nachbarn keine Skrupel bei der widerrechtlichen Aneignung fremden Eigentums zeigten…………..
Der Ablauf der verordneten Bodenreform in Böhne
Aus den Erinnerungen des Böhner Gutsverwalter Otto Rahtgens
von Hans- Jürgen Wodtke
Die Familie Rahtgens in den frühen 1940er Jahren (v.l.) Sohn Carl-Ernst (wurde im Zusammenhang mit dem Hitlerattentat am 31.8.1944 in Berlin-Plötzensee hingerichtet) sowie Agnes und Otto Rahtgens. Quelle: Archiv Wodtke
Bereits ab dem 6. September 1945 begann die nur vier Tage zuvor verkündete Bodenreform, Konturen anzunehmen. Doch noch hatten die Menschen große Schwierigkeiten sich vorzustellen, wie die Landwirtschaft zukünftig funktionieren sollte. So glaubten damals nicht wenige Menschen das aus den enteigneten Gütern und Großbauernwirtschaften Kolchosen nach sowjetischem Vorbild entstehen sollten. Doch heute weiß man, dass das nicht in Stalins Sinne war. Offensichtlich zu negativen waren seine Erfahrungen bei der Zwangskollektivierung der sowjetischen Landwirtschaft gewesen
Zwischen Hoffen und Bangen
Auch der als Verwalter und Schwager von Mathilde von Kluge auf dem Böhner Rittergut eingesetzte Otto Rahtgens, hoffte bis zuletzt, dass der landwirtschaftliche Großbetrieb vom 1.145 Hektar irgendwie zusammenbleiben könnte. Er konnte und wollte es sich nicht vorstellen, wie das werden sollte, wenn die rund 300 Hektar Ackerland, wie vorgesehen, auf zahllose Kleinbauern aufgeteilt werden würden. Denn es fehlte damals praktisch an allem damit die neuen Kleinbetriebe überhaupt starten und dann ihren Beitrag zur Ernährung der stark angewachsenen und hungernden Bevölkerung in der Region beitragen konnten. Zudem hatte er auch kein Interesse daran, dass die nicht von der Bodenreform betroffenen Bauern im Ort, die bereits gierig auf das enteignete Land blickten, es sich unter den “Nagel reißen“ würden. Mitte September schöpfte er neue Hoffnung. Damals signalisierte ihm die Kreisverwaltung in Genthin, dass die Güter in Böhne und Jerchel als sogenannte Saatgüter im Rahmen der Bodenreform nicht aufgeteilt werden sollen.
Doch schon wenige Tage später wurde dieser Beschluss aufgehoben und Rahtgens aufgefordert, umgehend das Gut zu verlassen. Jetzt mussten seine Frau Agnes und er endgültig und schweren Herzens vom Böhner Gut Abschied nehmen. Beide hatten sie seit Anfang der 1940 Jahre auf Wunsch ihres Schwagers Günther von Kluge, sich redlich bemüht, den Besitz der Familie zu beschützen und zu bewahren. Im besonderen Maße galten ihre Anstrengungen dem von ihnen sehr geschätzten Neffen, dem Sohn der von Kluges, Günther von Kluge jun. Ihm wollten beide unter allen Umständen sein Erbe erhalten. Entgegen vieler Adliger, Gutsbesitzer und deren Verwalter aus dem Elb-Havel-Winkel war Rahtgens beim Herannahen der Roten Armee nicht geflohen. Danach gedemütigt und mehrfach in Lebensgefahr, hatte er seinen Platz in Böhne nie verlassen. Nur zwei Monate nach Kriegsende konnte er für den geflohenen Brendel einen neuen Inspektor für die Führung des Gutes verpflichten. Bis zur Enteignung war es Rahtgens mit dessen Hilfe gelungen, den Gutsbetrieb wieder so gut es ging, aufzunehmen.
Kopie des offiziellen Enteignungsbescheides (mi) und zeitgenössische Vignetten
Von einstigen Nachbarn enttäuscht und gedemütigt
Nach seiner Flucht aus Böhne schrieb er etwas später an seinen Neffen Günther von Kluge jun. einen langen Brief. In diesem berichtet er ausführlich und resigniert über seine vergeblichen Bemühungen um den Erhalt des Gutsbesitzes und über seine großen menschlichen Enttäuschungen. So schreibt er sinngemäß: Hätten die Russen ihnen alles weggenommen, dann hätte er das noch verstanden. Sie waren schließlich die Sieger und die Deutschen waren vorher bei ihnen auch nicht „zimperlich“ gewesen. Doch die hatten sie nach dem Siegesrausch der ersten Tage und Wochen bald in Ruhe gelassen. Auch zeigte er ein gewisses Verständnis für die neuen politischen Machthaber. Diese hatten ja ihre Arbeit unter der „Knute“ der sowjetischen Militäradministration zu machen und mussten bei der Beseitigung von unglaublichem Elend oft übermenschliches leisten. Lediglich Landrat Paul Albrecht kam bei ihm nicht so gut davon. Ihm warf er unnötige Übereifrigkeit gegenüber den Russen und unglaubliche Rachegelüste gegen alles „Bestehende“, für einst von den Nazis an ihm begangene Untaten, vor.
Tief enttäuscht zeigte er sich von zahlreichen im Einzugsbereich des Gutes lebenden, Nachbarn. Diese hatte sich sogleich nach dem Rückzug der Roten Armee aus dem Ort, ohne scheinbares Unrechtsgefühl, plündernd über das noch übriggebliebene Gutseigentum hergemacht. Selbst vor dem noch intakten Mobiliar im Schloss machten sie dabei nicht halt. Besonders betrübt war er darüber, dass es überwiegend die Einheimischen und nicht die wirklich notleidenden Flüchtlinge waren, die sich so ungeniert bereicherten. Doch den größten Schmerz bereitete ihm, so war seinem Brief zu entnehmen, dass es Deutsche und darunter zahlreiche langjährige Nachbarn waren, die ihn und seine Frau vom Jahrhunderte alten Besitz der Familie vertrieben und dabei ihre unverhohlene Häme nicht verbargen.
Im Zuge der Bodenreform entstanden aus dem Böhner Rittergut 26 Neubauernstellen. Hier erhielten mindestens zehn Flüchtlingsfamilien (jetzt von den politischen Machthabern Umsiedler genannt) oder andere „Neuankömmlinge" die Chance, eine neue Existenz zu gründen. Das ebenfalls zu Böhne gehörende Gut Wilhelminenhof wurde unter elf Neubauern aufgeteilt. Auf dem unmittelbaren Hofgelände des Gutes entstanden bis Mitte 1946 sieben Neubauernstellen. Hier fanden sechs Flüchtlingsfamilien ein neues zu Hause.
Erschienen mit geringfügigen Änderungen am 13. September 2015 in der BRAWO, Lokalausgabe Rathenow