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Kurztext: Ab 1968 war nach §219 StGB der DDR die Kontaktaufnahme zu Westsendern wie RIAS, BBC und dgl. strafbar. Zuwiderhandlungen, wie Briefekontakte, konnten Haft nach sich ziehen. Trotz strenger Kontrollen erreichte viele Briefe Ostdeutscher die Sender im Westen. Diese animierten gezielt zu derartiger Kontaktaufnahme, die teils an Geheimdienste weitergeleitet wurden – ein riskantes Spiel zwischen Kontrolle und freier Informationsnutzung.
Strafrechtliche Verfolgung bei Kontaktaufnahme zu Westsendern
§219 StGB der DDR mit weitreichenden Folgen für DDR-Bürger
von Hans-Jürgen Wodtke
In einem ARD-Interview berichtete Peter Sahla, einstiger Moderator des deutschsprachigen Dienstes der BBC, über den Umgang mit Hörerbriefen an den Sender zur Zeit des Kalten Krieges. Foto: Wodtke
Anders als heute mitunter vermutet und nur zu oft behauptet wird, hat es in der DDR nie ein Gesetz gegeben, welches das Hören und Sehen von Westsendern bei Strafe verbot. Somit konnten bei Zuwiderhandlungen Personen von der DDR-Justiz auch nicht dafür strafrechtlich verfolgt und bestraft werden. Das war besonders in der letzten Phase der Naziherrschaft ganz anders. Hier konnte das Hören von „Feindsendern“, wie Radio Moskau oder BBC London, sogar mit dem Tode bestraft werden. Vielleicht war dieses unmenschliche Vorgehen der Nazis auch der Grund, weshalb sich die DDR-Spitzenpolitiker nie zu so einem gesetzlich fundamentierten Verbot durchringen konnten. Dennoch blieb der Einfluss der westlichen Funkmedien bis zum Ende der DDR für deren Staatslenker ein stetes Problem, dass sie mit allen Mitteln in ihrem Sinne beeinflussen wollten. So versuchten staatstreue Funktionäre und politisch Verantwortliche in Schulen, staatlichen Betrieben und Einrichtungen sowie besonders bei den bewaffneten Organen es mit radikalen Verboten und bei Zuwiderhandlung mit Bestrafungen der ertappten Westradiohörer. Doch trotz eifrigster Bemühungen blieben viele Bereiche des täglichen Lebens dennoch von staatlicher Vormundschaft ausgeschlossen. Freiräume, in denen sich ein Großteil der DDR-Bevölkerung nach ihren Vorstellungen informierte und die visuellen bzw. akustischen Angebote aus dem Westen unzensiert konsumierte. Denn zum Glück konnten die Funkwellen von keiner noch so perfekten Grenzanlage erfolgreich abgeschirmt werden.
Rigoroses Vorgehen ab 1968
Dafür ging die Staatsmacht ab Anfang 1968 wesentlich rigoroser gegen ihre Bürger vor, die eine direkte Kontaktaufnahme zu Westsendern suchten. Ab dem 12. Januar 1968 wurde diese Form der Anbahnung zum Klassenfeind im neu verabschiedeten Strafgesetzbuch der DDR im § 219 erstmalig geregelt und als Straftat klassifiziert. Danach wurde die „ungesetzliche Verbindungsaufnahme“ zu Sendeanstalten aus nicht sozialistischen Staaten unter Haftstrafe von bis zu zwei Jahren gestellt. Besonders zielte das Gesetz in Richtung der damals zahlreichen Briefeschreiber, die zum RIAS in Westberlin und der BBC in London, den Kontakt suchten. Beide Radiostationen sendeten aus dem amerikanischen bzw. britischen Sektor in Westberlin auf Mittel- und Kurzwelle sowie UKW. Ihr vielfältiges Informations- und Unterhaltungsprogramm richtete sich vornehmlich an die Menschen in der damaligen DDR. Beide Radiostationen boten zur direkten Kontaktaufnahme aus dem Osten Deutschlands Deckadressen in Westberlin an, welche immer wieder von den Redaktionen der Sender gewechselt wurden. Mit diesem steten Adressenwechsel wollte man der Staatssicherheit möglichst immer einen Schritt voraus sein. Was auch Anfangs, bis zu den 1980er Jahren recht gut gelang. Beide Radiostationen boten Sendungen unterschiedlichsten Inhaltes an, mit denen die Hörer aus Ostdeutschland gezielt zur aktiven Kontaktaufnahme animiert wurden. So gab es speziell für die jungen Hörer den „RIAS-Treffpunkt“ und „Schlager der Woche“ oder von der BBC „Platten à la carte“ und „Eine kleine Beatmusik“, Sendungen, in denen deren Wunschmusik gespielt wurde. Bei der älteren Hörerschar waren unter anderem das „Klingende Sonntagsrätsel“ und die politische Sendung „Wo uns der Schuh drückt“ des RIAS und „Briefe ohne Unterschrift“ der BBC recht beliebt. Letzterem Sendeformat widmete das Berliner Museum für Kommunikation vor rund drei Jahren eine vielbeachtete Ausstellung.
Strafverfolgung im Osten und Infos für Geheimdienste im Westen
In dieser wurde recht bedrückend wie anschaulich dargestellt, wie das MfS gegen die ostdeutschen Briefeschreiber der zur Hetz-Sendung deklarierten BBC-Sendung vorging. Danach ist belegt, dass es den Kontroll- und Strafbehörden der DDR in aufwendigen Verfahren gelang mehrere Briefeschreiber trotz deren Herkunftsverschleierung, aufzuspüren und zu zum Teil mehrjährigen Haftstrafen zu verurteilen. Was in der durchaus gut gemachten Ausstellung allerdings keine Beachtung fand, war die Auseinandersetzung mit den Geheimdiensten auf britischer Seite. Denn aus lauter Menschenfreundlichkeit wurde weder der Sender betrieben noch die Sendungen über Jahrzehnte am Laufen gehalten. Hierzu gab vor einiger Zeit der einstige BBC-Moderator Peter Sahla in einer ARD-Sendung einen weitreichenden Einblick. Danach wurden alle Hörerbriefe aus der DDR nach der Sichtung im Londoner Funkhaus zeitnah an den britischen Geheimdienst weitergegeben, der anschließend den Bundesdeutschen Nachrichtendienst mittels übergebener Briefkopien informierte. Da war auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs doch wohl wesentlich mehr Brisanz in dem Thema, als wir es uns hätten damals vorstellen können.
Persönliche Erfahrungen
Auch ich gehörte, wie zahlreiche meiner Altersgenossen, vor gut 50 Jahren zu den aktiven Hörern der BBC-Jugendsendungen. Zu meiner Freude kamen damals zwei von mir versandte Briefe mit Musikwünschen bei der BBC an und wurden vom Sender auch gespielt. Welches mögliche Risiko ich mit dem Briefversand dabei eingegangen bin, war mir zu der Zeit überhaupt nicht bewusst. Mit Sicherheit hätte es aber bei einer Enttarnung durch den MfS wohl eine mindestens längerfristige staatliche Ablehnung meines Studienwunsches bedeutet.
Erschienen mit geringfügigen Änderungen am 19. Aug. 2023 in der BRAWO, Lokalausgabe Rathenow