Grüße zum Advent
Der Rathenower Heimatbund e.V. wünscht seinen Unterstützern und seiner werten Kundschaft eine gesegnete Vorweihnachtszeit.
Kurztext: In den frühen 1960ern initiierte Walter Ulbricht eine liberale Jugend- und Kulturpolitik in der DDR, förderte Beatmusik und Jugendklubs. Trotz anfänglicher Erfolge wandten sich viele Jugendliche von den gepriesenen sozialistischen Idealen ab. Nach Krawallen beim Rolling-Stones-Konzert 1965 stoppten einige Hardliner im Politbüro die Reformen. Kurt Tuba, von Ulbricht als Koordinator betraut, wurde als Sündenbock verantwortlich gemacht.
Frühe 1960er: Zwischen Euphorie und verordneter Eiszeit
Ulbricht verkündete im Alleingang liberalere Jugend- und Kulturpolitik
von Hans-Jürgen Wodtke
Ulbricht und die DDR-Politik bis 1973
Die erste Phase der DDR von deren Gründung bis 1973 ist eng mit der Person von Walter Ulbricht verbunden. Er war es auch, der durch seinen politischen Übereifer an den Ereignissen des 17. Juli 1953 erhebliche Mitschuld trägt und auf dessen Initiative am 13. August 1961 die „Berliner Mauer“ gebaut sowie der Ausbau der Grenzanlagen zur Bundesrepublik weiter forciert wurde. Ulbricht ist darüber hinaus aber auch durch seine Rede im Dezember 1965 auf dem 11. Plenum des ZK der SED in Erinnerung geblieben, wo er die noch heute legendären Sätze: “Ist es denn wirklich so, dass wir jeden Dreck, der vom Westen kommt, nu kopieren müssen? Ich denke, Genossen, mit der Monotonie des Je-Je-Je, und wie das alles heißt, ja, sollte man doch Schluss machen“, verlas. Die Folge war ein quasi Verbot der westlichen Beatmusik für die nachfolgenden Jahre in der DDR. Dabei hatte er sich nur gut zwei Jahre zuvor beherzt für eine umfassende Liberalisierung der Jugend- und Kulturlandschaft in der DDR eingesetzt.
Walter Ulbricht, Vorsitzender des Staatsrats der DDR, verkündet am 21. September 1963 in der Parteizeitung „Neues Deutschland“ den Beginn einer neuen, liberaleren Jugend- und Kulturpolitik für die DDR. Fotocollage: Wodtke
Wirtschaftliche Lage 1963 begünstigt neue Jugendpolitik
Im Jahre 1963 begannen sich die Menschen in der DDR mit ihrer Situation zunehmend zu arrangieren. Der junge, seit eineinhalb Jahren sich selbst abgeschottete Staat, erlebte einen wirtschaftlichen Aufschwung und der Lebensstandard seiner Einwohner stieg langsam, aber erkennbar an. Das Politbüro hatte zuvor vorsichtige Wirtschaftsreformen eingeleitet und die Planwirtschaft etwas gelockert. Doch trotz der erkennbaren Erfolge ließ sich die DDR-Jugend nur schwer für den von Partei und FDJ gepriesenen sozialistischen Weg begeistern. So waren damals nur etwa 43 Prozent der Jugendlichen Mitglieder in der FDJ. Zudem beklagten die politisch Verantwortlichen zunehmende Gleichgültigkeit und Pessimismus bei den jungen Leuten. Das wollte Walter Ulbricht, der Mann an der Spitze des Politbüros, unbedingt ändern.
Ulbrichts ordnet liberalere Kultur- und Jugendpolitik an
Vorbei an seinen verwunderten Genossen im Politbüro, der FDJ-Führungsspitze und den nicht minder erstaunten DDR-Bürgern, ordnete er eine kontrollierte und von oben anberaumte Kulturrevolution und Wende in der praktizierten Jugendpolitik an. Das Kommuniqué zur neuen Jugend- und Kulturpolitik war damit mehr als nur ein Aufreger und erschien am 21. September 1963 im damals rasch vergriffenen „Neuen Deutschland“. Schnell wurde das Dokument für die Kulturschaffenden und die Jugendfunktionäre in der DDR zum Leitfaden für den Weg in eine neue, liberalere Zeit. Als Koordinator für sein damals wagemutiges, wie die Zeit ungewöhnliches Vorhaben verpflichtete er den im bestens bekannten 34-jährigen Kurt Tuba. „Tuba war Chefredakteur der Studentenzeitschrift ‘Forum‘. [Er] galt in seiner Partei als unbequem. Zudem hatte ihn 1953 der damalige FDJ-Chef Erich Honecker als Studentenfunktionär abgesetzt“, so Uwe Klussmann in einem Beitrag im Spiegel 4/2016.
Beatmusik und Jugendkultur in der DDR
Anders noch als Jahre zuvor in der Ära des Rock & Roll schien sich dieses Mal die DDR-Führung nicht gegen die neue Musikrichtung und die damit einhergehende Beat-Kultur aus dem Westen stemmen zu wollen. So präsentierte das staatseigene Schallplattenlabel AMIGA mit „Beat I“ und „Beat II“ heimische Beatgruppen mit Coverversionen westlicher Titel und 1965 erschien dann sogar eine Lizenz-Schallplatte der Liverpooler Pilzköpfe.
Im „Sog“ dieser neuen, die Jugend begeisternden Musikrichtung schossen nicht nur im Westen sondern letztendlich auch durch die von Ulbricht eingeleitete neue Jugend- und Kulturpolitik auch im Osten Deutschlands die Beatbands wie Pilze aus dem Boden und fanden ihre begeisterte Anhängerschar. In vielen Städten der DDR stellten die unter FDJ-Kontrolle stehenden bzw. neu geschaffenen Jugendklubs Räumlichkeiten und Technik bereit und forcierten so die Entwicklung von Nachwuchsbands und damit der Verbreitung der Beatmusik im gesamten Lande. Nachdem es in Premnitz zu jener Zeit bereits einen aktiven Jugendklub gab, erhielt Rathenow im September 1965 mit tatkräftiger Unterstützung der Jugendzeitschrift „neues Leben“ gleichfalls einen Klub für die Jugend der Optikstadt.
Die so immer populärer werdende Beatmusik machte natürlich auch vor unserer Region keinen Halt. So erinnern sich sicher noch die älteren Leser an die „Fellows“ (später Gravens) sowie die Tanzveranstaltungen im legendären Rathenower Sportpalast und anderen Sälen in den umliegenden Dörfern.
Rückschläge führen zur Rücknahme der Reformen
Besonders Walter Ulbricht, der diese Reform nahezu im Alleingang initiiert hatte, erhoffte sich viel von der neuen Jugend- und Kulturpolitik. Doch anders als erwartet wandten sich immer mehr DDR-Jugendliche von den vom Partei und FDJ gepriesenen Idealen des sozialistischen Lebens ab und zogen sich in ihre Privatwelt zurück. Am 15. September 1965 kam es, wenn auch in der Westberliner Waldbühne, zu massiven Krawallen beim Rolling Stones Konzert und damit „zum berühmten Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte“. Die Hardliner im Ostberliner Politbüro hatten jetzt endlich die nötigen Argumente, um die von ihnen über die gesamte Zeit abgelehnte liberalere Umgestaltung der Jugend- und Kulturpolitik im Lande endlich zu beenden. Als erfahrener Apparatschik erkannte Ulbricht schnell, welche Gefahr ihm selbst nach dem Scheitern seiner Kampagne drohte. Hastig wurde deshalb sein einstiger Vertrauter, Kurt Tuba, von ihm und den Genossen des Politbüros zum alleinigen Sündenbock gemacht. In den nächsten Wochen kam es zum kompletten Rollback der noch kurz zuvor gepriesenen Strategie und damit zu verheerenden Auswirkungen besonders auf die bis dato praktizierte Jugend- und Kulturpolitik mit tiefen Einschnitten, Verboten und Repressalien für die ostdeutschen Bürger.
Quellen:
- „Von der Liberalisierung zur Eiszeit“, H.-J. Wodtke, Broschüre, 2018, Rathenower Heimatbund e.V.
- „ Aktion sauberer Staat„ ,Uwe Klussmann, Die 60er Jahre – Der Spiegel, 2016
- Neues Deutschland vom 21. September 1963, ND - Archiv
- „Jugend nach dem Mauerbau: Anpassung Protest und Eigensinn“, Marc-Dietrich Ohse
Erschienen mit geringfügigen Änderungen am 20.Sep. 2023 in der BRAWO, Lokalausgabe Rathenow