Grüße zum Advent
Der Rathenower Heimatbund e.V. wünscht seinen Unterstützern und seiner werten Kundschaft eine gesegnete Vorweihnachtszeit.
Kurztext:
Yuri Korschunow, ehemaliger Zivilangestellter der einst in der DDR stationierten sowjetischen Streitkräfte, eröffnet mit seinem Buch seltene Einblicke in die geheimnisvolle Feldpoststelle 20633 in Heidefeld. Aus seinen Erinnerungen beschreibt er das Leben im lange abgeschotteten und streng bewachten Militärkomplex der Sowjetarmee und seine Begegnungen mit den Menschen aus der DDR. Das Buch liefert gleichfalls eindrucksvolle Informationen aus einem verborgenen Ort und einer vergangenen Zeit.
Buch über die sowjetische Feldpoststelle 20633 erschienen
Einblicke wie einst ein Russe die DDR und deren Menschen erlebten
von Hans-Jürgen Wodtke
Erste Begehung des Militärareals Heidefeld durch deutsche Kommunalvertreter im Herbst 1992. Foto: Stadtarchiv Rathenow/Nl Ralf Kuberski
Heidefeld: Ein ehemaliger Militärisch-Industrieller Komplex
Nur die wenigsten Leser werden wohl etwas mit einer „Feldpoststelle 20633“ anfangen können. Dabei gibt es vermutlich kaum einen Westhavelländer der, so er die DDR-Zeit schon bewusst erlebt hat, nicht mindestens einmal auf der unmittelbar daran vorbeiführenden Eisenbahnstrecke Rathenow – Brandenburg/ Havel oder der B102 vorbeigefahren ist. Die Rede ist von dem zu Rathenow gehörenden Ortsteil Heidefeld, dem von der Sowjetarmee beinahe 50 Jahre okkupierten, einstigen Arado- Flugzeugwerk.
Nur einer begrenzten Anzahl von DDR-Bürgern war es in dieser Zeit vergönnt, einen Blick hinter die bestens bewachten Mauern zu werfen. Und denen, den das gelang, wurden von den Sowjets ein wohl dosierter Einblick in den Industriekomplex mit zahlreichen für das Militär arbeitenden Betriebsteilen gewährt. So ist es nicht verwunderlich, dass sich zahlreiche Mythen um die in den 1980er Jahren auch als Militärisch-Industrieller Komplex (MIK) bezeichnete Militäranlage rankten. Da war von einer Galvanikanlage von der Größe eines kleinen Schwimmbades wie auch von ausgedehnten unterirdischen Bauwerken mit integrierten Gleisanlagen ebenso die Rede wie von einer Versuchsanlage für die Entwicklung modernster Waffen. So manches Geheimnis wurde mit dem Abzug, der dann schon zur Westgruppe der Truppen gehörenden Militäreinheit 1992 gelüftet oder ein für alle Mal als ad absurdum zu den Akten der Geschichte gelegt.
Einblick in das Leben der Zivilangestellten
Einen aufschlussreichen Blick hinter die Mauern von Heidefeld und einen Einblick in das Leben der dort arbeitenden Menschen aus allen Teilen der einstigen Sowjetunion vermittelt das unlängst in deutscher Sprache erschienene Buch von Yuri Korschunow. Dieser arbeitete in den späten 1970er und frühen 1980er Jahren als sogenannter Zivilangestellter in einem der militärischen Betriebsteile in Heidefeld und lebte auch in dem Militärobjekt . In der Regel hatten die Zivilkräfte einen Arbeitsvertrag für drei Jahre. Unter den wohl Hunderten von Zivilisten, die bis in die frühen 1990er Jahre hier arbeiteten, waren sehr viele hervorragend ausgebildete Fachleute, so wie auch mein Freund Igor Makovetskiy. Igor arbeitete im „zivilen Leben“ auf dem Flughafen Moskau-Scheremetjewo. Er war Ingenieur für Flugzeuginstandhaltung und im zweiten Abschluss Ingenieur für Funkelektronik. Ein Spezialist und Geheimnisträger, dem es strengstens untersagt war Kontakte zu Einheimischen zu unterhalten. Aufgedeckte Zuwiderhandlung bedeutete die sofortige Beendigung des in vielerlei Hinsicht lukrativen Arbeitsverhältnisses bei den sowjetischen Streitkräften. Davon, dass sich damals auch viele seiner Heidefelder Arbeitskollegen trotz drakonischer Verbote nicht daranhielten, können heute noch zahlreiche Menschen aus der Region berichten.
Geführt wurde der gesamte Militärkomplex, wie auch die jeweiligen Betriebe, von Offizieren. Mit einem dieser hochrangigen und an der Schaltstelle des Standortes Heidefeld agierenden Offiziere hatte der Rathenower Klaus Fürstenberg intensiven beruflichen Kontakt. Eine Verbindung, aus der sich eine intensive Freundschaft entwickelte, die bis in die heutige Zeit anhält.
Yuri Korschunow (li) und die einstige Kaserne in Heidefeld an der B 102 zwischen Premnitz und Rathenow, heute WAV Rathenow. Fotos: Korschunow und Stadtarchiv Rathenow/Nl Ralf Kuberski
Yuri Korschunow hatte nach seinen Aufzeichnungen, anders als die meisten Zivilangestellten, wesentlich mehr eigenen Bewegungsspielraum. Offensichtlich war sein Betrieb, wie die einzelnen Betriebsteile genannt wurden, als von untergeordneter Wichtigkeit eingestuft. Diese Freiräume nutzte er, getrieben von einer großen Neugier auf Land und Leute, umfassend aus. So berichtet er in erstaunlich liebevoller, feinfühliger Schreibweise von zahlreichen Erlebnissen in Rathenow und dem angrenzenden Umland, sowie von innigen Begegnungen mit Einheimischen. Treffen, die zum tiefen gegenseitigen Vertrauen und einer unlängst wiederbelebten Freundschaft mit der Nachfolgegeneration der einstigen Bekannten aus dem Havelland geführt haben. Dazu war Korschunow im Sommer diesen Jahres noch einmal aus dem traumhaften Sankt Petersburg an seine einstige Wirkungsstätte, oder was davon noch übriggeblieben ist, gereist. Im Gepäck hatte er mehre Exemplare seines 2019 aufgelegten Buches „Reise in die Vergangenheit“.
Leider waren die noch auf unkonventionellem Wege vertriebenen, wenigen Exemplare schnell vergriffen. Doch soll sich dieser Zustand, so die aktuelle Mitteilung des Autors, recht bald ändern. Denn eine zweite, umfangreich überarbeitete und erweiterte Auflage befindet sich bereits im Druck. Der Rathenower Heimatbund e.V., unter anderem zuständig für das jährliche Erscheinen des Rathenower Heimatkalenders, hat sich im Vorfeld bereit erklärt, die Neuauflage nach Erscheinen hier bei uns zu vermarkten. (siehe Onlineangebot)
Erschienen mit geringfügigen Änderungen am 22. Nov. 2020 in der BRAWO, Lokalausgabe Rathenow