Kurztext:
1947 herrschten in der Region Armut, Hunger und Unsicherheit. Mord, Raub und Diebstähle prägten das Nachkriegsleben. Die neue Polizei konnte trotz Bemühungen wenig ausrichten. Auch Rotarmisten begingen schwere Verbrechen. Tauschgeschäfte und Korruption verschärften die Lage. Erst allmählich gelang es, die Kriminalität einzudämmen.
Raub, Mord und Sittlichkeitsverbrechen, eine Region in Angst
1947 - Armut und Hunger sowie Gier und Gefühlskälte waren Nährboden für Verbrechen
von Hans-Jürgen Wodtke
Aufbau einer neuen Polizeistruktur
Die unmittelbare Nachkriegszeit war in unserer Region von zahlreichen, zum Teil schweren Verbrechen gekennzeichnet. Neben Mord und Sittlichkeitsverbrechen beunruhigten Vieh- und Felddiebstähle sowie Einbruchsdelikte die ohnehin leidgeprüfte Bevölkerung. Ursachen für die hohe Verbrechensdichte waren vor allem Armut und Hunger der hier lebenden Menschen. Doch bei weitem nicht alle Straftaten lassen sich hierauf zurückführen. Nur allzu oft war es die eigene Gier, die die Straftäter zu immer neuen Straftaten zum Nachteil der Geschädigten und großen Teilen der hungernden Gesellschaft antrieb. Dabei schreckten die Täter bei der Durchsetzung ihrer Ziele auch vor brutaler Gewalt nicht zurück.
Personenkontrollen durch die Polizei waren damals nichts ungewöhnliches. Sammlung Wodtke Ab 1946 begann die von der SAMD (sowjetische Militäradministration in Deutschland) eingesetzte deutsche Verwaltung mit dem Aufbau einer flächendeckenden Polizeipräsenz in SBZ (sowjetische Besatzungszone). Dazu wurden auch in den einzelnen Dörfern Polizeiposten mit ein oder mehr Landpolizisten geschaffen. Diese sollten neben der Verhinderung von Straftaten besonders das Sicherheitsgefühl bei der Bevölkerung stärken. Doch gelang das in der Zeit vor 70 Jahren aufgrund der Anzahl der Straftaten und den noch schlecht ausgebildeten Polizeikräften nur bedingt, wie Erinnerungen von Zeitzeugen, zahlreichen Presseberichten und der Autobiografie des Forstassessors Hubert Hundrieser zu entnehmen sind. Die Genthiner „Volksstimme“ berichtet in ihrer Ausgabe vom 11. September 1947 über die Polizeitätigkeit im Monat August des Jahres im ländlichen Bereich des Kreisgebietes Jerichow II folgendes: „Danach hatte die Landpolizei des Kreises 140 der verschiedensten Straftaten zu bearbeiten und bei der Aufklärung der Vergehen und Verbrechen zu unterstützen. Es gelang 86 Fälle aufzuklären, darunter 26 einfache und schwere Diebstähle, drei Fahrradentwendung und sonstige Straftaten.“ In der Auflistung waren Straftaten, die eindeutig von Rotarmisten verübt wurden, nicht enthalten. Diese Fälle unterlagen der Strafverfolgung der Roten Armee.
Zeitzeugen erinnern sich
Auch Forstassessor Hubert Hundrieser, der von 1946 bis 1948 im Forsthaus Hohenheide, im Wald zwischen Vieritz, Zollchow und Böhne lebte, hat zahlreiche Erlebnisse aus dieser Zeit in seiner Autobiografie festgehalten. In dieser schrieb er unter anderem, wie er selbst Opfer eines dreisten Diebstahls wurde, der für ihn weitreichende Folgen haben sollte. (mehr Infos)
Darüber hinaus berichtete er in seinen Nachkriegserinnerungen auch von durch Rotarmisten verübte Gewalttaten, die von Raub über Nötigung bis zur Vergewaltigung reichen. Offensichtlich war es der Führung der örtlichen Garnisonen zu dieser Zeit noch nicht gelungen, ihre Mannschaften gänzlich unter Kontrolle zu bekommen. Das war besonders prekär, weil bei diesen Straftaten nicht selten Schusswaffen zum Einsatz kamen. Für einen Bürger der SBZ bedeutete damals Waffenbesitz das sichere Todesurteil. Dazu reichte allein der festgestellte Besitz. Obwohl also Verbrechen mit Waffengewalt mit sehr großer Wahrscheinlichkeit auf Angehörige der Roten Armee verwiesen, kam die lokale Presse damals nicht umhin auch darüber zu berichten. So findet man in der Genthiner „Volksstimme“ von Anfang September 1947 die Mitteilung: „ In Roßdorf wurde in den frühen Morgenstunden eine 17 Jahre alte Hausangestellte beim Austreiben der Kühe auf die Koppel unweit der Provinzialstraße Genthin-Roßdorf, überfallen und vergewaltigt, nachdem sie zuvor beschossen worden war.“ Auch in Möthlitz kam es zu einem Schusswechsel. In der Genthiner Zeitung „Freiheit“ vom 15. Juli 1947 hieß es dazu: Zu einem nächtlichen Raubüberfall kam es beim Landwirt Otto Schmidt. Zwei bisher nicht ermittelte Täter raubten verschiedene Kleidungsstücke und Nahrungsmittel und flüchteten unter Einsatz von Waffengewalt in Richtung Neu-Plaue.“
Der Schwerpunkt der Straftaten lag aber im Sommer 1947 bei Vieh- und Felddiebstählen. Und diese müssen bedrohliche Ausmaße angenommen haben. Deshalb wandte sich der Landrat des Kreises Jerichow II in einer Pressemitteilung an die Bevölkerung: „Es ist nötig im Interesse unserer Ernährung gegen Feld-, Garten- und Viehdiebstählen mit allen Mitteln vorzugehen und hohe Strafen anzudrohen. Im Schnellgerichtsverfahren kann dabei auf bis zu fünf Jahre Gefängnis erkannt werden.“ Zur besseren Verbrechensbekämpfung, besonders im ländlichen Raum erließ der Kreisrat Jerichow II zudem eine Polizeiverordnung in der: „Unberechtigten das Betreten der Feld- und Waldfluren während der Dunkelheit strengstens verboten war. Nichtbeachtung der Anordnung wurde mit Geldstrafe oder Haft geahndet.“
„Unzulässige Tauschgeschäfte“ und „gesunkene Geschäftsmoral“
über Plakate versuchten die politisch Verantwortlichen damals auf die ausufernde Kriminalität in der Region Einfluss zu nehmen. Sammlung Wodtke Ein anderes Problem, mit welchem sich der Kreisrat der Kreise zu beschäftigen hatte, waren sogenannte „unzulässige Tauschgeschäfte“, die aufgrund des Mangels an allem Lebensnotwendigen und dem zunehmenden Verfall der Reichsmark täglich praktiziert wurden. So schrieb die in Genthin erscheinende Zeitung „Freiheit“ am 7. März 1947: „Es werden immer noch zahlreiche unzulässige Tauschgeschäfte getätigt. Dabei handelt es sich nicht nur um Einzelhandelsgeschäfte, sondern auch um Handwerker, die sich ihre Waren zum Teil in Naturalien bezahlen lassen. Diese unerfreuliche Erscheinung der gesunkenen Geschäftsmoral ist strengstens verboten. Beamte, Angestellte, Arbeiter, besonders die große Zahl der Neubürger, sind nicht in der Lage, Tauschgeschäfte gegen Lebensmittel vorzunehmen und werden hinsichtlich der Belieferung von Waren stark benachteiligt. Leider muss auch festgestellt werden, dass auch Handwerker die Ausführung von Arbeiten für Kunden, welche Lebens- und Genussmittel versprechen, bevorzugen. Der Landrat weist darauf hin, dass derartige Tauschgeschäfte Verstöße gegen die Gesetzesvorschriften darstellen. Diejenigen Einzelhändler oder Handwerker, die Waren oder Leistungen im Tausch gegen knappe oder bewirtschaftete Güter anbieten, Missbrauchen in ihrer Treuhänderstellung für eigennützige Zwecke, gefährden eine geordnete Bedarfslenkung und erschüttern immer mehr das Preisgefüge.“
Trotz angedrohter und immer wieder auch medienwirksam praktizierter harter Bestrafung von Tätern, gelang es den staatlichen Stellen in den Folgejahren nur langsam die hohe Kriminalität zurück zu drängen.
Quellen:
• Pressemitteilungen in der Genthiner „Freiheit“ und „Volksstimme“ aus dem Jahre 1947
• Hubert Hundrieser, „Grünes Herz zwischen Hoffnung und Abschied“, Wage Verlag, 2005
Erschienen mit geringfügigen Änderungen am 23. Juli 2017 in der BRAWO Lokalausgabe Rathenow