Kurztext:
Forstassessor Hubert Hundrieser geriet nach dem Zweiten Weltkrieg in der sowjetischen Besatzungszone in einen politisch motivierten Prozess, angeführt von seinem Gegner, Landrat Paul Albrecht. Fälschlich der Schwarzschlachtung beschuldigt, verlor er zeitweise seine Anstellung. Nach weiteren Repressalien floh er mit seiner Familie aus der sowjetischen Besatzungszone in den Westen und schließlich nach Kanada, wo er 1991 verstarb.............
Ein Forstmann zwischen Pflicht und idiologisch motivierter Politik
Das Schicksal des Hubert Hundrieser in der Nachkriegszeit
von Hans- Jürgen Wodtke
Ein Forstmann im Visier der Politik
Forstassessors Hubert Hundrieser landete in der frühen Nachkriegszeit, als eigentlich Bestohlener, vor einem politisch motivierten Gericht stalinistischer Prägung. In einem mit unlauteren Mitteln gegen ihn geführten Prozess konnte er nur mit Mühe und Glück einer Verurteilung und damit Inhaftierung entkommen. Maßgeblichen Anteil an dem Prozess hatte Hundriesers Widersacher Paul Albrecht, Landrat des Kreises Jerichow II. Es handelte sich bei den Beiden um zwei Männer wie sie unterschiedlicher nicht sein konnten. Der eine, aus einer politisch aktiven roten Arbeiterfamilie stammend, war ein ehrgeiziger, glühender Verehrer jeglicher sowjetischer Errungenschaften und ein knallharter, blind gehorchender Stalinist. Anders der Andere, ein aus einer preußischen Beamtenfamilie stammender, deutschnational und zur Pflichterfüllung erzogener und alles Bolschewistische ablehnender, gut ausgebildeter Forstmann.
Zeitgenössische Kartenauszug. Archiv Wodtke Hundrieser wohnte in der Zeit von 1946 bis 1948 mit seiner Familie im zur Vieritzer Gemarkung zählenden Forsthaus Hohenheide. Dieses von einem Industriellen aus dem Ruhrgebiet errichtete Anwesen wurde im Zuge der Bodenreform enteignet und in Länderbesitz übertragen. Heute wird es von Nachfahren der einstigen Besitzer bewohnt. Zu dem Haus, in dem sich zu Hundriesers Zeiten auch seine Diensträume befanden, gehörte auch eine kleine Landwirtschaft. Hundrieser war angestellter Forstbeamter bei der anhaltinischen Landesregierung in Halle. Sein unmittelbarer Vorgesetzter war Landrat Paul Albrecht in Genthin. Dem Forstamt auf Hohenheide war darüber hinaus noch ein Dienstanwesen auf der Böhner Schäferei zugeordnet. Es handelte sich dabei um das Forsthaus des letzten Böhner Gutsförsters Benasse. Hier wohnte der Forstarbeiter Borchert, die rechte Hand Hundriesers, mit seiner großen Familie. Das traditionsbeladene Haus diente später als Außenstelle des Staatlichen Forstwirtschaftsbetriebes und ist inzwischen einem Neubau in privater Nutzung gewichen.
Ein dreister Diebstahl und seine Folgen
Neben seiner Funktion als staatlich angestellter Forstamtsleiter betrieb Forstassessor Hundrieser zur besseren Versorgung seiner damals immer größer werdenden Familie auf Hohenheide eine kleine Bodenreformwirtschaft. Damit erreichte er in der schwierigen Zeit eine bessere Grundversorgung für die Seinen, musste aber auch Pflicht-, sogenannte Soll-Abgaben an Schweinefleisch, Eiern und anderen Nahrungsmitteln an die kreisliche Aufkaufstelle leisten. Die zeit- und qualitätsgerechte Bedienung der Vorgaben wurden von der staatlichen Stelle strengstens kontrolliert. Zuwiderhandlungen zogen zum Teil strenge Bestrafungen nach sich. Dessen sich durchaus bewusst, konnte er dennoch diesen Forderungen nicht mehr nachkommen als ihm in einer Nacht seine zwei Schweine, zehn Hühner und zwei Ziegen gestohlen wurden. Die Diebe hatten sich durch ein kleines Fenster Zugang zur Stallung verschafft und die Tiere an Ort und Stelle geschlachtet. Niemand, der im nahen Hause Schlafenden hatte etwas von dem umfassenden, dreisten Raub mitbekommen. Schnell fiel der Verdacht auf einen in Böhne lebenden Gelegenheitsarbeiter, der Tage zuvor Hundrieser bei dessen Heuernte geholfen hatte. Durch seine Hilfeleistungen auf dem Hof kannte dieser sich bestens auf dem recht abgelegenen Grundstück aus. Schnell fanden Hundrieser und sein Gehilfe Borchert unweit seines Grundstücks neben zahlreichen Fußspuren auch eine Spur eines Handwagens, die sich bis nach Böhne verfolgen ließ. Doch konnten oder wollten, die zum Wohnsitz des Beschuldigten gerufenen Polizisten, trotz aufgefundener Fleischvorräte, sich damals nicht der Anschuldigung Hundriesers anschließen. Das wollte dieser in der Folge nicht akzeptieren und strengte deshalb ein Gerichtsverfahren gegen den Mann aus Böhne an. Die Beschuldigung wurde vom Gericht abgeschmettert und Hundrieser so nicht von seinen Verpflichtungen der bereits drakonisch eingeforderten Soll-Abgaben entbunden.
Hubert Hundrieser und Wohnhaus in Hohenheide in den späten 1940er Jahren, Quelle: Buch „Grünes Herz zwischen Hoffnung und Abschied",
Vom Opfer zum Angeklagten
Nicht nur, dass er der Soll-Ablieferung nicht nachkommen konnte, beschuldigte man ihn im Nachgang noch zusätzlich der damals unter strenger Strafe stehenden "Schwarzschlachtung". Diese Anschuldigungen wurden in einem höchstfragwürdigen, politisch motivierten und von Landrat Albrecht gelenkten Strafverfahren schnell zu einer bedrohlichen Situation für den Forstmann. Letztendlich reichten die Vorwürfe wohl doch nicht für die angestrebte Inhaftierung, dafür aber zur vorübergehenden Entlassung aus dem Staatsdienst aus. Die Wiedereinstellung und damit existentielle Absicherung seiner Familie, wurde nur bei einer umgehenden Begleichung der ausstehenden Soll-Ablieferung in Aussicht gestellt. Ein Teufelskreis, dem er damals nur mit Hilfe befreundeter Bauern aus der Region und viel Geschick entkommen konnte.
Flucht aus der sowjetischen Besatzungszone nach Kanada
Der ständigen Repressalien müde werdend, entschloss sich die Familie Hundrieser nach einem Zwischenaufenthalt in der Nähe von Arendsee in die junge Bundesrepublik überzuwechseln. Hier erhoffte sich der engagierte und erfahrene Forstmann die ihm zustehende Anerkennung und zukünftig einen gesicherten Lebensunterhalt für sich und seine Familie. Doch machte man ihm im Westen schnell und unmissverständlich klar, dass alle Posten besetzt wären und man für ihn keine Verwendung hätte. Eine Aussage, die ihn, so schreibt er in seinen Memoiren, damals vollkommen unvorbereitet und damit besonders demütigend getroffen hatte. Noch einmal rafften sich die einst bereits aus Ostpreußen geflohenen Hundriesers auf und wagten den mutigen Schritt über den „Großen Teich“. Sie landeten schließlich in Gananoque, in der kanadischen Provinz Ontario, unmittelbar am Sankt-Lorenz-Strom und schafften sich hier mit viel Engagement ein neues Zuhause.
Hundrieser verstarb nur wenige Tage nach seinem 77. Geburtstag, am 25. April 1991. in Gananoque (Kanada).
Quellen:
• Hubert Hundrieser, „Grünes Herz – zwischen Hoffnung und Abschied“, WAGE-Verlag, 2005
• Paul Albrecht, „Auf dem Wege zur revolutionären Arbeitereinheit“, Kommission zur Erforschung der
Gegenwart der Geschichte der örtlichen Arbeiterbewegung
Erschienen mit geringfügigen Änderungen am 01.Juli 2020 in der BRAWO, Lokalausgabe Rathenow