Kurztext:
Walter Woop, 20 Jahre alt, erlitt schwere Verwundungen im 2.Weltkrieg und befand sich zum Kriegsende in Rathenow. Hier wurde er gefangen genommen und in Richtung Osten geschickt. Auf einem erschöpfenden Fußmarsch von Rathenow nach Potsdam entschloss er sich zur riskanten Rückkehr in seine Heimat. Mit einer Astgabel als Gehhilfe und Hilfe hilfsbereiten Menschen kämpfte er sich durch Wiesen, Wälder und Dörfer, suchte Schutz und Nahrung, getrieben vom Wunsch zu überleben …………
Walter Woop auf der Flucht nach Hause
Schwer verwundet und doch heimgekehrt
von Hans-Jürgen Wodtke
Es gibt nicht mehr allzu viele Zeitzeugen, die noch über ihre eigenen Kriegserlebnisse berichten können. Zu ihnen gehört der in Rathenow lebende Walter Woop. Er beging am 13. Mai 2020, seinen 95. Geburtstag. Auf Grund seiner schweren Verwundung bei den Gebirgsjägern in Italien durfte er sich ab Ende 1944 zur Genesung in seiner Heimatstadt aufhalten. Hier erlebte er das Kriegsende in einer Gartenlaube am nördlichen Rand der heftig umkämpften Stadt. Eine in der Nähe der Laube explodierte Granate verletzte ihn abermals schwer.
Walter Woop (li.) zu seinem 90 Geburtstag. Bis weit nach Kriegsende irrten immer noch Menschen mit ihrer bescheidene Habe auf der Suche nach einer Bleibe umher. Fotos: Sammlung Wodtke
Gefangennahme und Fußmarsch
Trotz Verwundung wurde er von Rotarmisten gefangen genommen und Tage später ohne ärztliche Versorgung mit anderen Gefangenen auf einen Fußmarsch von Rathenow in Richtung Osten geschickt. In seinen Erinnerungen heißt es hierzu: „In Nauen wurden schließlich die gesunden von den kranken Gefangenen getrennt. Am nächsten Morgen mussten wir Verletzten und Kranken den Marsch in Richtung Berlin fortsetzen. Damit schwanden bei mir die ohnehin spärlichen Hoffnungen auf den dringend benötigten medizinischen Beistand. Unser Tagesziel, eine ehemalige Luftwaffenkaserne in Schönwalde, erreichten wir tief in der Nacht gegen 24.00 Uhr. Hier sanken wir erschöpft auf bereitstehende, einfache Liegemöglichkeiten. Doch zuvor gab es für jeden einen Teller mit schmackhaftem Milchreis und Zucker. Für diese Zeit eine wahre Delikatesse und für uns Ausgehungerte und Kranke sowieso. Endlich wieder etwas im Magen habe ich auf der Pritsche, fast meine mich plagenden Wunden vergessend, hervorragend geschlafen.
Am nächsten Morgen wurden Transporte mit Verwundeten und Kranken zusammengestellt. Neben unserer Kolonne kamen noch zahlreiche andere, darunter auch verwundete Frauen, hinzu. Mit Lkw wurden wir alle nach Potsdam zur ärztlichen Betreuung in ein Krankenhaus gebracht. Wieder keimte in mir Hoffnung auf baldige Hilfe auf. Doch in Potsdam angekommen, sah ich die Menschenmassen, die sehnsüchtig Hilfe von dem hoffnungslos überforderten medizinischen Personal erwarteten. Es war abzusehen, dass wir Neulinge mit einer Behandlung in den nächsten zwei Tagen nicht rechnen konnten. Noch zwei Tage auf Hilfe warten, und wie wurde diese dann ausfallen? Eine zufriedenstellende Antwort konnte mir auf meine brennende Frage niemand geben.
Der Entschluss zur Flucht
Als ich dann erkannte, dass es hier keine sichtbare Bewachung gab, reifte in mir der Plan, nach Rathenow zurückzukehren. Doch würde ich die körperliche Anstrengung des Marsches bei einer äußerst ungewissen Verpflegungssituation überhaupt schaffen können? Hier im Lager allerdings war die Wahrscheinlichkeit, weiter da-hinzusiechen und dann zu sterben, sehr groß. Da machte ich mir keine Illusionen. Ich hatte im Krieg in Russland und Italien genug gesehen und erlebt, um meine Situation realistisch einschätzen zu können. Wollte ich weiterleben, dann gab es, wenn überhaupt, Hilfe in Rathenow. Schon nach kurzer Zeit spürte ich, dass der Granatsplitter in meiner Kniekehle sich weiterentzündet hatte. Ich brauchte zum Weiterlaufen unbedingt eine Gehhilfe, auf die ich mich abstützen und so mein Bein etwas entlasten konnte. Nach einigem Suchen fand ich eine geeignete Astgabel in einem kleinen Waldstück und konnte damit mein schmerzendes Knie etwas entlasten. Natürlich musste ich stets vorsichtig sein, um nicht erneut einer russischen Militärstreife in die Hände zu fallen. Der sehnliche Wunsch, möglichst schnell wieder Rathenow zu erreichen, trieb mich voran und entwickelte in meinem zusehends ausgemergelten Körper neue Kräfte. Probleme bereitete auf meinem Weg lediglich die Überwindung einiger Gewässer. Doch halfen schließlich immer irgendwelche guten Leute, auch diese Hürden zu nehmen. Bei Dunkelheit zu laufen, war für mich zu riskant. Ich brauchte nach den Strapazen des Tages ohnehin eine Ruhepause, in der ich mich möglichst lang ausgestreckt ausruhen konnte.
Erste Rast und weitere Stationen
Meine erste nächtliche Rast machte ich in Bagow am äußersten Nordufer des Beetzsees. Hier fand ich nach kurzem Suchen eine nächtliche Bleibe mit Suppe, Wäsche und Verbandstoff für meine schlimmsten Wunden. Am nächsten Tag, jetzt die Kräfte doch langsam schwindend, kam ich bis nach Garlitz. In einem Schweinestall fand ich zu mindestens ein Dach über dem Kopf und einen Strohlager für die Nacht. Am nächsten Morgen gab es sogar noch eine Suppe zum Frühstück. Es war mein 20. Geburtstag. Doch dieses durchaus wichtige Ereignis war angesichts meiner schwierigen Gesundheitslage beinahe zur Nebensächlichkeit geworden.“
Die Fortführung der Geschichte findet der interessierte Leser im Teil 4 der Reihe “Die letzten Tage im Krieg und die ersten Wochen im Frieden in der Region um Rathenow“
Erschienen mit geringfügigen Änderungen am 18. Mai 2020 in der BRAWO, Lokalausgabe Rathenow