Kurztext:
Im Januar 1945 erreichten rund 450 Flüchtlinge aus Woldenberg das ihnen unbekannte Premnitz. In bitterer Kälte fanden die Familien zunächst nur Notquartiere und wenig Aufnahmebereitschaft. Trotz Enge und Not hofften sie auf baldige Rückkehr. Während der Krieg näher rückte, flohen viele Bewohner erneut, diesmal in Richtung Elbe, um der Roten Armee zu entkommen....
Im Januar 1945 in Premnitz gestrandet
Der einstige Woldenberger Flüchtlinge Wolfgang Bornstädt erinnert sich
von Hans-Jürgen Wodtke
Ankunft der Woldenberger Flüchtlinge in Premnitz
„Am Sonntagnachmittag, dem 28. Januar 1945, kamen wir, etwa 450 Kriegsflüchtlinge aus Woldenberg/ Neumark von östlich der Oder, auf dem alten Premnitzer Bahnhof an. Es war dunkel und bitterkalt. Die Erde war mit einer dicken Schneedecke überdeckt. Kaum einer dürfte Premnitz vorher gekannt haben, und so hatten wir auch keine Ahnung, wo wir waren. Einige Ankömmlinge dachten, als sie den tief verschneiten Postberg am Premnitzer Hauptbahnhof sahen, wir wären in Thüringen gelandet. Und wieso überhaupt Premnitz? Wir sollten doch nach Anklam evakuiert werden. Die Menschen, die jetzt den Zug verließen, waren ausschließlich Mütter mit ihren Kindern." So schildert der damals achtjährige Wolfgang Bornstädt in seinen Erinnerungen die Ankunft in seiner neuen Heimat, im damaligen Westhavelland.
Bruno Bornstädt mit seinen Kindern Hans-Werner, Wolfgang und Reinhard (im Kinderwagen) sowie Ehefrau Elfriede im Spätsommer 1944 in Woldenberg/ Neumark. Foto: W. Bornstädt
Genauso überrascht wie die Neuankömmlinge waren, so überfordert zeigten sich die Behörden bei der menschenwürdigen Unterbringung der ihnen zugewiesenen verstörten und entwurzelten Menschen. Als Quartiere für die erste Nacht wurden den Flüchtlingen die Säle in den Gaststätten und die Schule im Ort zugewiesen. Hier bekamen die Neuankömmlinge nach rund 48-stündiger Irrfahrt endlich auch etwas zu essen. Am nächsten Morgen wurden ältere Premnitzer Schüler beauftragt, die Neuankömmlinge zu ihren vorbestimmten neuen Quartieren im Dorf zu begleiten. Schnell mussten Mutter Bornstädt, ihre drei Jungen im Alter von 7 Monaten bis acht Jahren und die 16-jährige Anita in ihrer ersten Anlaufstelle erkennen, dass sie in Premnitz nicht sonderlich willkommen waren. Erst zum Ende des Tages fanden sie mit drei weiteren Flüchtlingen für die nächsten Wochen eine Bleibe. Doch die Enge war so unglaublich, dass Anita nur noch im Wintergarten einen Schlafplatz fand.
Dennoch waren die Flüchtlinge froh, endlich ein Dach über dem Kopf zu haben und nach den unsäglichen Strapazen etwas Ruhe zu finden.
Den Verlust der Heimat bewusst
Nun erst wurde den Bornstädts richtig bewusst, dass auch sie jetzt das grausame Schicksal der Flüchtlinge, der Habenichtse, ereilt hatte. Aber sie trösteten sich mit dem Gedanken, dass sie bald wieder zurück in ihre schöne große Wohnung nach Woldenberg fahren könnten. Dort würden sie dann auch den Vater wiedersehen, der nicht mit auf die Flucht gehen durfte und zum Volkssturm eingezogen worden war.
Abgesehen von der Enge und den unübersehbaren Defiziten in der Versorgung der Menschen im Ort herrschte in Premnitz zu der Zeit, wo doch die Welt ringsherum bereits in Trümmern lag, noch so etwas wie Friede. Im Werk, in den Geschäften und Betrieben gingen die Menschen ihrer Beschäftigung nach. Täglich kam Bäckermeister Lippert mit seiner Dreikantfeile und lieferte in die Häuser am See frische Brötchen aus. Auch wurden die Villen noch regelmäßig mit Koks beliefert, und das werkseigene Kraftwerk sorgte für eine kontinuierliche Stromversorgung des Dorfs.
Wann kommen die Russen?
Dennoch war auch hier nicht zu verleugnen, dass das Dritte Reich in den letzten Zügen lag. Beinahe täglich, oft am Tage und in der Nacht, überflogen Bomberverbände der Anglo-Amerikaner den Ort. Dann mussten alle die Schutzräume aufsuchen, und so kam auch der Schulunterricht immer mehr zum Erliegen. Ende April 1945 verließen die leitenden Angestellten, unter ihnen auch Bornstädts Wirtsleute, Hals über Kopf Premnitz. Ein untrügliches Zeichen für das baldige Eintreffen der Roten Armee. So hieß es dann auch am 30. April 1945: Russische Panzer sind im Anmarsch aus Richtung Bamme, aus dem Wald kommend.
Erneute Flucht Richtung Elbe
Dann die überraschende, wie glückliche Meldung: Es sind deutsche Panzer und viele Soldaten, nicht die Russen. Die deutschen Landser legten alsdann eine Rast in Premnitz ein und beschworen die Einwohner, mit ihnen in Richtung Elbe zu ziehen. Als das Gros der Wehrmachtseinheiten abzog, entschloss sich auch Mutter Bornstädt, noch einmal mit ihrer Familie vor den Russen zu flüchten. Ihnen schlossen sich zahllose Menschen an, die nur ein Ziel hatten: die scheinbar rettende Elbe.
• Hans-Jürgen Wodtke u.a. „Die letzten Tage im Krieg und die ersten Wochen im Frieden in der
Region um Rathenow“, Band 3, Rathenower Heimatbund e.V.
Erschienen mit geringfügigen Änderungen am 5. April 2015 in der BRAWO, Lokalausgabe Rathenow