Kurztext: Im Jahre 1933 verkaufte Deutschland am ersten Messetag 100.000 Volksempfänger VE 301. Goebbels nutzte das preiswerte Bakelit-Radio in der Folgezeit gezielt für NS-Propaganda. Bis 1939 stieg die Zahl der Radiohaushalte auf 12,5 Millionen. Kleinere Geräte wie der DKE 38 („Goebbels-Schnauze“) und in der Nachkriegszeit der DDR-„Kolibri“ machten Radio für breite Schichten zugänglich und prägten die Rundfunkgeschichte Deutschlands.
Der Volksempfänger, das wohl meistgebaute Radio Deutschlands
Vor 90 Jahren: 100.000 Radiogeräte an einem Tag verkauft
von Hans-Jürgen Wodtke
Auf der Funkausstellung in Berlin wurde 1933 der unter der strengen Regie der Nazis von verschiedenen deutschen Herstellern produzierte neue Volksempfänger einer breiten Öffentlichkeit vorgestellt. Bildcollage Wodtke
Rekordverkauf des Volksempfängers VE 301
Wenn man heute von 100.000 verkauften Geräten an nur einem Tag hört, dann denkt man unweigerlich an Spitzengeräte von Apple, welche annähernd zeitgleich auf der ganzen Welt angeboten und verkauft werden. Doch mögen Apples Verkaufszahlen auch noch so spektakulär erscheinen, diese wurden bereits vor 90 Jahren beim Verkauf eines Radiogerätes mit der Bezeichnung „Volksempfänger VE 301“ im deutschen Reich getoppt. Dort verkaufte man am 18. August 1933, dem ersten Tag der X. Internationalen Funkausstellung in Berlin, an nur einem Tag 100.000 VE 301.
Dem Verkaufserfolg war eine rund zwei Monate zuvor von den seit Ende Januar 1933 regierenden Nationalsozialisten losgetretene umfassende Werbekampagne vorausgegangen. Initiator dieser bis dato beispiellosen Werbeaktion war der Reichspropagandaminister Dr. Joseph Goebbels. Er hatte schon im März 1933 die Intendanten und Direktoren der deutschen Rundfunkanstalten ins Berliner Funkhaus in die Masurenallee beordert und ihnen verkündet: „Ich halte den Rundfunk für das allermodernste und allerwichtigste Massenbeeinflussungsmittel, das es überhaupt gibt. Deshalb werden wir den Rundfunk in den Dienst unserer Idee stellen. Und keine andere Idee soll hier zu Worte kommen.“ Doch seine geplante umfassende Ideologisierung über den damals noch sehr jungen Rundfunk konnte nur dann erfolgreich sein, wenn auch möglichst viele Haushalte darüber erreichbar waren. „ Es darf in kürzester Frist in Deutschland keinen Haushalt geben, der nicht [an den] Rundfunk angeschlossen [ist],“ so Goebbels in seiner Rede weiter.
Nazis bestimmen technische Umsetzung und Preisgestaltung
Doch zu der Zeit gab es im Reich nur gut vier Millionen Radioempfangsgeräte. Der Stückpreis dieser lag bei 200 bis 400 Reichsmark und war damit für die allermeisten Bürger unerschwinglich bzw. deren Handhabung war noch zu kompliziert. Deshalb forderte Goebbels von den Radioherstellern des Landes ein merklich preiswerteres Gerät für maximal 76 Reichsmark. Das war ein Verkaufspreis, den einige der 28 von Goebbels ausgewählten Hersteller anfangs nicht akzeptieren wollten, aber es letztendlich wohl oder übel mussten. Dazu Goebbels nur zwei Jahre später: “Der Gedanke des Volksempfängers setzte sich so erfolgreich durch, dass bis heute 1.300.000 Geräte hergestellt wurden. Es braucht dabei nicht verschwiegen zu werden, dass um die Auflegung der ersten Serien heftige Kämpfe ausgefochten worden sind, bis der entscheidende Wille der politischen Führung und die wirtschaftliche Vernunft zum Siegen kam.“
Dem damals aktuellen Entwicklungsstand bei der Kunststoffherstellung folgend, erhielt der Volksempfänger ein massentaugliches und preiswertes Gehäuse aus schwarz- braunem Bakelit. Das Radiogerät war für den Empfang der Mittel- und Langwelle konzipiert und gestattete den Empfang mindestens eines Bezirkssenders und des Deutschlandsenders. Besonders in den Abend- und Nachtstunden war auch der Empfang weiterer deutscher wie auch ausländischer Sender durchaus möglich.
"Der Rundfunk gehört ausschließlich uns", so Goebbels bereits 1933 vor ausgewählten Parteigängern. Bildcollage: Wodtke
Erweiterung der Produktpalette
Bis zum Mai 1939 schafften es die Nazis schließlich, die Zahl der gebührenpflichtigen Rundfunkteilnehmer auf Zwölfeinhalb Millionen zu steigern. Dieser beachtliche Zuwachs an Rundfunkgeräten wurde nicht zuletzt dank der Erweiterung der Produktpalette um den „Arbeitsfunkempfänger“ und den „Deutschen Klein- Empfänger DKE 38“ möglich. Letzterer kostete nur noch 35 Reichsmark, war gleichfalls ein Mittel- und Langwellengerät und wurde im Volksmund gern als „Goebbels Schnauze“ bezeichnet.
Nachkriegs- und frühe DDR-Zeit
Nach dem Ende des Krieges versuchte die DDR-Regierung an den zweifellos erfolgreichen Rundfunkaufbau der Nazis anzuschließen. Sie ließ auf Basis des DKE 38 einen Kleinempfänger mit dem Namen "Kolibri" fertigen und diesen Anfang der 1950er Jahre für 50 DM verkaufen. Der Kleinempfänger fand wegen seines niedrigen Verkaufspreises besonders bei den finanzschwachen Schichten im Lande durchaus seine Käufer.
Der Volksempfänger und seine „kleineren Brüder“ waren in den ersten beiden Jahrzehnten nach Ende des zweiten Weltkrieges, so von den Sowjets nach Kriegsende nicht konfisziert, noch tausendfach im Einsatz. Sie wurden jetzt zum ungewollten Vermittler des Kalten Krieges über den Äther. Noch in den 1960er Jahren, so erinnert sich der Rathenower Rainer Düskau, landeten diese Rundfunkveteranen auf dem Tisch der Rundfunkreparaturwerkstätten und die Besitzer bangten nicht selten um die „Gesundung“ ihrer inzwischen vertrauten radiotechnischen Weggenossen. „In unserer Firma, der PGH Elektronik, gab es noch einen Altgesellen, der auf Grund seiner langjährigen Erfahrungen und des erworbenen Wissens es immer wieder schaffte die inzwischen um die dreißig Jahre alten Geräte zu reparieren“, so Düskau in seinen Erinnerungen.
Neben Sammlerwert auch historische Bedeutung
Und wer möchte kann noch heute, wenn auch bedauerlicherweise die Lang- und Mittelwelle in Deutschland vor einiger Zeit abgeschaltet wurden, auf dem Second-Hand-Markt funktionsfähige Radio-Oldies, wie diese vor beschriebenen Geräte, kaufen und sich so ein Stück deutsche Rundfunkgeschichte ins eigene Haus holen.
Quelle:
• „Volksempfänger & Goebbelsschnauze“, Dr. H. Walle, „Geschichte und Wissen 12/ 2012“
• „Aus dem Leben eines alten Radioempfängers“, H.-J. Wodtke, „BRAWO 11.12. 2016“
Erschienen mit geringfügigen Änderungen am 6.Sept 2023 in der BRAWO, Lokalausgabe Rathenow