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Kurztext: Rathenow und das Westhavelland wurden ab 1904 schrittweise elektrifiziert. Die Gründung der BKEW 1912 als Verband von drei Kreisen, führte zum Bau von überregionalen Hochspannungsnetzen zur Versorgung der Städte und Dörfer im Einzugsgebiet. Bis 1926 waren 99 % der Ortschaften angeschlossen. Mit der weiteren Fusion zur MEW wuchs die Versorgungssicherheit und -effizienz. Elektroenergie ersetzte bald bisherige Energieformen für Antriebe und Beleuchtung und veränderte damit das Leben und Arbeitswelt der Menschen grundlegend.
Eine Welt gerät unter Strom (Teil 2)
Wie das Westhavelland Ende der 1920er Jahre zur bestversorgtesten Region wurde
von Hans-Jürgen Wodtke
Übersicht der Elektroenergieversorgung Ende der 1920er Jahre, Sammlung Wodtke
Die Periode der frühen Elektrifizierung Rathenows (1904–1911)
Am 8. März 1904 nahm in Rathenow das von der AEG (Berliner Elektricitäts Werke) gebaute städtische Kraftwerk seinen Betrieb auf. Erstmalig stand damit für Teile der Stadt Elektroenergie zur Verfügung. Die westhavelländische Kreisstadt war mit der Elektrifizierung des Stadtgebietes relativ spät dran. Und es werden wohl zu dem die Unternehmer in der Stadt gewesen sein, die den Magistrat endlich zum Bau einer eigenen städtischen Stromerzeugung bewegt haben. Das lässt sich schon allein aus der relativ großen Anzahl von Kraft-Stromabnehmern zum Ende des ersten Geschäftsjahres schlussfolgern. Damit wurde in Rathenow, ähnlich wie in den meisten Orten des Deutschen Reiches, der Bau und Betrieb von Elektrizitätswerken und Verteilungsnetzen haupt- sächlich durch die aufstrebende und expandierende Industrie in die Wege geleitet und vorangetrieben. Doch schon bald erkannten die kommunalen Entscheidungsträger, welche ökonomischen aber auch politischen Möglichkeiten in der Elektrifizierung ihrer Territorien und in der Vermarktung der Elektroenergie steckten. So gingen die ersten Kommunalträger recht zügig dazu über, die elektrotechnische Versorgung ihrer Region selbst in die Hand zu nehmen. Die erwirtschafteten Gewinne stopften fortan Löcher im kommunalen Haushalt oder kamen besonderen Projekten zu Gute.
Zusammenschluss zur BKEW
In dieser Hinsicht gilt das Jahr 1911 als besonderer Meilenstein in der Elektrifizierungsgeschichte unserer Region. Denn auf Initiative des Landrates des Kreises Osthavelland, von Hanke, schlossen sich sein Kreis mit den Nachbarkreisen Westhavelland und Ruppin zu einer Elektrifizierungsgesellschaft zusammen. Mit dieser Gesellschaft auf kommunaler Ebene wollte man die Energieversorgung in den drei Landkreisen gemeinsam und zum gegenseitigen Vorteil aufbauen und bewirtschaften. Die offizielle Gründung der Brandenburgischen Kreis-Elektrizitätswerke GmbH (BKEW) mit Sitz in Spandau bei Berlin geht auf den 8. Juli 1912 zurück. Nördlich von Spandau entstand auch das gemeinsam finanzierte „Kraftwerk Oberhavel“, welches fortan die Mitglieder des BKEW über ein 15000V-Leitungssystem mit Elektroenergie versorgte. In Rathenow wurde die überregional zugeführte Hochspannung über Transformatoren an das bestehende städtische Netz angepasst. Über dieses gelangte die Elektroenergie als Wechselstrom zu den Verbrauchern. Darüber hinaus wurde ein Teil der elektrischen Energie im Elektrizitätswerk mit Hilfe von Quecksilberdampfgleichrichtern in Gleichstrom umgeformt und besonders für die Versorgung der städtischen Haushalte bereitgestellt.
Weiterer Netzausbau und Versorgungsstabilisierung
Nachdem seit 1904 der Bedarf an Elektroenergie im Stadtgebiet dramatisch gestiegen war, stand nun mit dem Fernverbund wieder genügend Energie zur Verfügung. Die nächsten Jahre waren durch den Ausbau des städtischen Stromnetzes geprägt. In den Aufzeichnungen von Gustav Isensee heißt es dazu:“ während des Ersten Weltkrieges wurden im Rahmen des weiteren Ausbaus des Elektrizitätsnetzes vom Elektrizitätswerk eine Freileitung über den Schleusenkanal, die große Hagenstraße entlang zur ‘Engelhardt Brauerei‘ gezogen. Das war die erste 220/380V-Drehstrom-freileitung, die dann erweitert, im Jahre 1919 entlang der heutigen Goethestraße und Nauener Straße bis zur damaligen Firma Rohrbach verlief. Diese Firma hatte sich damals im Lokal ‘Birkenwäldchen‘ mit einer optischen Schleiferei eingerichtet. Heute steht an dieser Stelle das Lutherhaus. […] Nach und nach wurden die Anlagenteile des Rathenower Elektrizitätswerkes, die nicht mehr [zur unmittelbaren Stromerzeugung] benötigt wurden, demontiert und verkauft.“1)
Zur weiteren geschichtlichen Entwicklung der regionalen Stromversorgung findet man in der Literatur folgende weiterführende Hinweise: „auf Betreiben des Reichskommissars für die Kohleverteilung wurde 1921 das Elektrizitätswerk der Köln- Rottweiler Pulver AG in Premnitz durch Vertragsabschluss als Versorgungsquelle für Rathenow verpflichtet. [Damit waren] einerseits die bei der damaligen Kohleknappheit ins Gewicht fallenden Leitungsverluste [auf] der etwa 60 km langen Zuleitung zu vermeiden und andererseits auch die Premnitzer Turbodynamoanlage wirtschaftlich im Nutzeffekt zu gestalten. So versorgte das Premnitzer Werk durch eine 15000V-Hochspan-nungsleitung [weisungsgemäß] Rathenow mit Drehstrom. Dieses Vertragsverhältnis wurde 1925 wieder gelöst und […] von da ab der Strom wieder vom Kraftwerk Spandau geliefert.“2)
In Aufzeichnungen von Gustav Isensee heißt es weiter: „Bis zum Jahre 1924 wurden in Rathenow noch große Teile der Alt- und damaligen Neustadt mit Anschlüssen für Gleichstrom versehen. Gleichzeitig wurde aber auch in immer größerem Umfang das Drehstromnetz ausgebaut. Dazu waren bis 1924 vier Transformatorenstationen im Stadtgebiet errichtet worden. […] 1925 wurde am Viertellandsweg eine sogenannte Hochvoltstation errichtet. […] Dieses Umspannwerk wurde von einer 50000V-Hochspannungsleitung des damals schon vorhandenen Umspannungswerkes Nauen versorgt“1)
Ansicht des 1925 erbauten 50kV-Umspannwerkes am Viertellandsweg, Aufnahme aus den frühen 1970er Jahren während des Rückbaus des gesamten Komplexes. Foto: Gustav Isensee
Elektrifizierung der ländlichen Gebiete
Doch die positive Entwicklung war nicht nur im städtischen Bereich zu erkennen. Auch in den havelländischen Dörfern, Ortsteilen und auf den Gütern hatte die Elektroenergie inzwischen längst Einzug gehalten und begann Dampfmaschinen, Petroleummotoren und Pferdegöpel als Antriebsquellen zu verdrängen. In den Dorfchroniken findet man zahlreiche Hinweise auf den feierlichen Moment, wenn die Dörfer an das überregionale Elektroenergieversorgungsnetz angeschlossen wurden. Das war zu Recht ein besonderes Ereignis im dörflichen Leben. Stellte doch der elektrische Strom nicht nur eine neue Energiequelle bereit, sondern war mit dem „elektrischen“ Licht eine beliebige Verlängerung der Tageszeit möglich. Denn die Qualität der neuen Beleuchtungsmöglichkeit stellte alles bis dahin Gekannte in den Schatten und veränderte so rasch die angestammten Lebensgewohnheiten, besonders der Menschen auf dem Lande.
Erfolge der BKEW, Fusion zur MEW und weitere Entwicklung
Der Zusammenschluss der drei Landkreise zur BKEW war damit, trotz Kriegs- und Inflationszeit, zu einem Erfolgsmodell für die Menschen der Region geworden. Im „Havelländischen Heimatkalender“ von 1927 heißt es dazu: „aus kleinen Anfängen entwickelte sich bis zum Jahre 1926 ein Hochspannungsnetz von fast 2150 km Hochspannungsleitungen mit rund 750 Transformatoren, die rund 700 Stadt- und Landgemeinden sowie Güter versorgten. […] die Versorgung des Havellandes ist als besonders gut zu nennen, denn rund 99 % der Ortschaften sind an das Leitungsnetz angeschlossen, sodass nur noch einige ganz isoliert liegende Orte, wie Strodehne, Witzke, Lochow unter anderem die Vorteile des elektrischen Stromes entbehren müssen. Die beiden ost- und westhavelländischen Kreise zählen damit zu den am besten versorgten Landkreisen im Deutschen Reich.“3)
Mit Ende des Jahres 1926 kam es zu einer Fusionierung der Brandenburgischen Kreis-Elektrizitätswerke GmbH mit der Märkischen Elektrizitätswerk AG, zu einem jetzt für große Teile der Provinz Brandenburg zuständigen Versorgungsbetrieb MEW. Die Gründe hierfür waren neben kaufmännischen aber besonders technischer Art. Ließ sich doch jetzt im wesentlich größeren Verbund der stetig wachsende Bedarf an Elektroenergie noch kostengünstiger decken und auch über lange Wege bereitstellen. Zudem wuchs mit zunehmender Vermaschung der Netze die Versorgungssicherheit für die Abnehmer in der Region. Der Stadt Rathenow brachte die Fusion durch den Verkauf ihrer technischen Anlagen an die neue Gesellschaft einen Erlös von den 450.000 Reichsmark. Gleichzeitig wurde die Havelstadt Aktionär der MEW.
Schematische Darstellung der Entwicklung der Stromversorgung in unserer Region bis in die 1930er Jahre. Sammlung Wodtke, KI generiert
Netzausbau in Rathenow in den 1930er Jahren
Über die weitere Entwicklung im Energieversorgungsnetz der Stadt Rathenow schreibt Gustav Isensee in seinen Erinnerungen: „in den dreißiger Jahren kam es zu keinem weiteren größeren Netzausbau. Die heutige ‘Badergasse‘ erhielt Mitte 1935 für 17 Haushalte noch ihre Anschlüsse. Im Allgemeinen aber wurden im Stadtgebiet nur schaltungstechnische Maßnahmen vorgenommen. Sie hatten zum Ziel, das noch bestehende Stromerzeugungsanlagen auch an das Stadtnetz Elektrizität abgeben konnten.“ 1) Gemeint sind hier die bis dahin autark arbeitenden Stromerzeugungsanlagen, wie die in den „Rathenower Dampf- und Wassermühlen“ am „Mühlendamm“ mit Wasserkraft angetriebene Anlage. Es ist denkbar und recht wahrscheinlich, dass in den 1930er Jahren noch weitere Unternehmen der Stadt eigene Stromerzeugungsanlagen betrieben haben. Jedoch liegen hierzu bislang keine weiterführenden Informationen vor.
Quellen:
1) Gustav Isensee, „Über 70 Jahre Energieversorgung der Stadt Rathenow“, Rathenower Heimatkalender 1975
2) Oberbaurat Sprotte „Deutschlands Städtebau, Rathenow“, C. L. Krüger, GmbH Dortmund, 1930
3) Siegfried Specht, „Entwicklung und jetziger Stand der Elektrizitätsversorgung im Havelland und in der Provinz Brandenburg“, Havelländischer Heimatkalender 1927
Erschienen mit geringfügigen Änderungen am 14. Jan. 2018 in der BRAWO, Lokalausgabe Rathenow