Grüße zum Advent
Der Rathenower Heimatbund e.V. wünscht seinen Unterstützern und seiner werten Kundschaft eine gesegnete Vorweihnachtszeit.
Kurztext: Die Rathenower Wassermühle, erstmals 1335 erwähnt, lieferte jahrzehntelang auch Strom. Modernisiert mit Francis-Turbinen erreichte sie eine Leistung bis zu 160 kW. Trotz robuster Technik wurde der Betrieb in den 1960er-Jahren eingestellt. Der Rückbau gelang nur teilweise. Ein Brand 1996 ließen vom historischen Wasserkraftwerks nur wenige Spuren zurück.
Eine Welt gerät unter Strom (Teil 4)
In Rathenow wurde viele Jahre „Grüner Strom“ aus der Wasserkraft der Havel erzeugt
von Hans-Jürgen Wodtke
Nach dem Krieg sichert Kraftwerk Notversorgung
Nach dem Ende des Krieges kam der erste Strom für die Region aus der Rathenower Wassermühle und aus dem alten Elektrizitätswerk der I.G. Farben-Werke in Premnitz. Mit Kreativität und Improvisationstalent sorgten damals die wenigen Elektrofachleute dafür, dass bereits am 13. Mai 1945 die wichtigsten Einrichtungen der Stadt, wenn auch erst mal nur im Notbetrieb, mit der dringend benötigten Elektroenergie versorgt werden konnten. Und das, trotz dem stark beschädigten städtischen Kraftwerk am Schleusenkanal und einem über weite Strecken zerstörten regionalen Energieversorgungsnetz. Großen Anteil an der Notversorgung hatten die über Wasserkraft angetriebenen Generatoren in der Rathenower Wassermühle am Mühlendamm.
Historische Ansicht von der Schwedendammseite auf das Gebäudeensemble zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Sammlung Wodtke
Geschichte der Rathenower Wassermühlen
Die Geschichte der Rathenower Wassermühlen geht auf das Jahr 1335 zurück. In späteren Jahren zählte man im Bereich des Rathenower Mühlendamms zehn Wasserräder in vier Flutrinnen. Betrieben wurden darüber eine Sägemühle, eine große und eine kleine Mahlmühle und eine Walkmühle. Immer wieder baulich verändert, waren zumindest einige der Gebäude noch bis in die 1990er Jahre zu besichtigen. Bis zum Jahre 1848 befand sich die Wassermühle im Stadteigentum, ging aber dann in den Besitz eines privaten Betreibers über. Etwa um das Jahr 1890 rissen die damaligen Besitzer Griess & Möwes die alte Vordermühle ab und errichteten ein vier Stock hohes, neues Mühlengebäude. Ohnehin veränderte der Gebäudekomplex immer wieder sein Aussehen. Zum einen war das das Ergebnis technischer Weiterentwicklungen, zum anderen machten auch verheerende Brände umfangreiche Umbauten notwendig. Im Jahre 1923 wurde schließlich auch das letzte der bislang das Aussehen des Gebäudeensembles prägenden großen Wasserräder demontiert.
Hierzu schrieb Willi Kort im Rathenower Heimatkalender von 1957: „sämtliche Wasserräder waren sogenannte unterschlächtige Wasserräder, welche mittels einem Ziehpanster in eine höhere oder tiefere Lage gebracht werden konnten. Die Mühlengebäude selbst standen auf großen Pfahlpfosten, mit großen Rahmenverbindungen, und hatten [anfangs alle] Holzfachwerk mit Ziegelsteinfüllung. […] Die alten Wassermühlen gaben früher der Gegend am Haveltor ein schönes charakteristisches Aussehen […]. Das wirtschaftlich unrationelle Arbeiten der alten Wassermühlen war natürlich Hauptgrund, dass dieses lebhafte Bild eines Tages verschwinden musste. Jedenfalls waren diese alten Wassermühlen ein technisches Kulturdenkmal, das gerade bei den alten Rathenower Bewohnern noch lange in Erinnerung bleiben wird.“1)
Umrüstung zur Stromerzeugung
„Anstelle der unterschlächtigen Wasserräder“, so Ernst Dittmann in der Chronik der Konsum - Mühlen Rathenow von 1961, „bauten die Besitzer der Mühle eine vollkommen neue Wasserkraftstation mit drei Francis-Turbinenpaaren zur Stromerzeugung auf. Zurzeit laufen noch zwei Paar Turbinen, die bei günstigen Wasserverhältnissen eine Leistung von bis zu 160 KW bringen. [Die Produktion] kann hiermit ohne Fremdstrombezug gefahren werden“. 2) 
In der heutigen Zeit lässt sich nicht mehr verbindlich rekapitulieren, ob bereits vor dem Umbau der Wasserkraftstation mit den unterschlächtigen Wasserräder Elektroenergie erzeugt wurde. Vieles spricht jedoch dafür. Ebenso kann man laut einer Äußerung von Gustav Isensee (siehe BRAWO vom 14.01.2018) davon ausgehen, dass die Mühle zumindest bis weit in die 1930er Jahre sich vollkommen autark mit Elektroenergie versorgt hat. Unklar ist allerdings, ob dazu auch das dritte Francis-Turbinenpaares genutzt wurde, denn über deren Einsatz und Verbleib lässt sich der spärlichen zur Verfügung stehenden Literatur nichts entnehmen.
Technische Details und Betriebsweise
Das Maschinenhaus, ein Flachbau, mit den Turbinen, Generatoren und elektrischen Schalteinrichtungen, befand sich angrenzend am eigentlichen Mühlengebäude. Die eingebauten Francis-Turbinen eigneten sich besonders für geringe Fallhöhen und mittlere Wassermengen. Die Montage erfolgte in eigens dazu gefertigten senkrechten Schächten aus hochfestem Beton. Das Havelwasser (Oberpegel) gelangte von oben durch ein schneckenförmiges Rohr zur den im unteren Bereich des Schachtes montierten Turbine und setzte hier die Turbinenschaufelräder in Bewegung. Zur Regulierung der Turbinenleistung und -drehzahl lassen sich normalerweise die Stellung der Schaufeln von oben mechanisch verstellen. So eine komfortable Durchflussregelung gab es in der Rathenower Wassermühle allerdings nicht. Hier wurde der Wasserdurchfluss für jedes Turbinenpaar mit je einer beweglichen Spundwand gesteuert. Mit dieser robusten und dennoch bestens funktionierenden Konstruktion konnte der Turbinenzulauf, so Zeitzeugen, recht gut dosiert werden. Die Zuflussdosierung war sehr wichtig und hing von der bereitstehenden Wassermenge und der jeweiligen Fallhöhe (Wasserpegel) ab. Ziel war es immer, eine für die Stromerzeugung optimale Drehzahl der Wasserturbinen zu sichern und auch bei hoher Energieabnahme zu halten (elektrische Belastung). Eine Unter- oder Überschreitung der Generatorendrehzahl hat bei derart einfachen technischen Lösungen immer eine schlechte Qualität der erzeugten Elektroenergie (zu geringe oder überhöhte Spannung und unangepasste Frequenz) zur Folge. Was dann zu schweren Schäden bei der Mühlentechnik führen konnte. Modernere Kraftwerke verfügten deshalb auch schon damals über ausgeklügelte Steuerungs- und Regelungssysteme. Diese aber fehlten im Rathenower Wasserkraftwerk komplett, wie sich Manfred Brüggemann noch heute gut erinnern kann. Er hatte in den frühen 1960 Jahren als Elektrotechniker des öfteren in der Mühle zu tun. Doch der schon über viele Jahre dort tätige Anlagenfahrer Poldi meisterte immer wieder aufs Neue auftretende Tücken, auch ohne große technische Hilfsmittel, mit Bravour. Wie er das mit seinen eingeschränkten Möglichkeiten immer wieder hinbekam, verblüfft noch heute Brüggemann. “Schließlich“, so der erfahrene Elektrofachmann in seinen Erinnerungen, “musste Poldi stets zwei elektrisch parallel laufende Elektrogeneratoren im Auge behalten. Da hätten schon der geringste Drehzahlunterschied bei einer Francis-Turbinen zu schwerwiegenden Komplikationen bei den Dynamo-Stromerzeugern führen können. Für diese schwierige Aufgabe benutzte der routinierte Anlagenfahrer jedoch lediglich je eine, den Generatoren zugeordnete, Glühlampe. Einzig und allein durch Beobachtung der Glühlampenhelligkeit entschied der geübte Praktiker, was er zu tun hatte. Unglaublich!“
Blick von der Mühlenstraße auf die Gebäude der Rathenower Wassermühle in den 1950er Jahren. Sammlung Wodtke
Rückbau und endgültiges Betriebsaus
Doch etwa in der Zeit um 1963/64 kam dann das endgültige Aus für Rathenows Wasserkraftwerk. Und das, obwohl unter günstigen Voraussetzungen auch die Mühle am Schwedendamm über ein gesondertes Verbindungskabel mit Elektroenergie betrieben werden konnte. Aber die inzwischen in die Jahre gekommene Stromerzeugungsanlage bereitete den Verantwortlichen der Rathenower Konsum-Mühlen zunehmend immer mehr Sorgen. An einer grundhaften Sanierung der Anlage führte kein Weg vorbei.
So erfolgte alsbald der Rückbau der antiquierten Stromerzeugungsanlage einschließlich des oberirdischen Teiles der Francis-Turbinenanlage. Die massiven Turbinenschächte und –schaufelräder jedoch verblieben an Ort und Stelle. Das führte in den Folgejahren bei schwierigem Havelpegel immer wieder zur Beeinträchtigung des gewünschten Wasserabflusses im Bereich der Wassermühlen. So entschloss man sich in den späteren 1970er Jahren zum Rückbau der letzten Komponenten der Wasserkraftanlage. „Doch diese ‘wehrten‘ sich heftig“, so Edgar Buhk, in einem späteren Gespräch mit mir. Er war damals als Technischer Direktor im volkseigenen Mühlenbetrieb tätig und unter anderem auch für den Rückbau zuständig. Alle Versuche der Demontage schlugen nach seinen Erzählungen fehl. Letztendlich übertrug man einem zivilen Spezialsprengbetrieb die Abbruchaufgabe. Die Sprengungen hatten Erfolg, doch versanken dabei die hochwertigen Turbinenschaufelräder für immer im Schlick der Havel.
Als am 7. August 1996 ein Feuer die stillgelegte Mühle bis auf die Grundmauern zerstörte, wurde die letzte Phase des geschichtsträchtigen Ensembles eingeläutet. Aus Gründen der Standsicherheit mussten die letzten Reste der Brandruine einige Zeit später abgetragen werden. Heute erinnert leider nur noch wenig an Rathenows einmaliges grünes Stromerzeugungskraftwerk auf Wasserkraftbasis.
Zeitleiste – Rathenower Wassermühle
• 1335 – Erste Erwähnung der Rathenower Wassermühlen
• Bis 1848 – Mühle im Besitz der Stadt
• Um 1890 – Abriss der alten Vordermühle, Neubau eines vierstöckigen Mühlengebäudes durch Griess & Möwes.
• 1923 – Letztes großes unterschlächtiges Wasserrad wird demontiert
• 1930er – Mühle versorgt sich autark mit Elektroenergie
• 1950er–1960er – Betrieb der modernen Wasserkraftstation mit Francis-Turbinen, Leistung bis 160 kW
• 1963/64 – Stilllegung des Wasserkraftwerks, Beginn des Rückbaus.
• 1970er – Sprengung der Turbinenkomponenten, Schaufelräder versinken im Havel-Schlick.
• 7. August 1996 – Brand zerstört die Mühle, letzte Reste werden aus Sicherheitsgründen abgetragen.
Quellen: 1) Willi Kort, „Technische Baudenkmale in Rathenow“, Rathenower Heimatkalender 1957
2) Ernst Dittmann, „Chronik der Konsum-Mühlen Rathenow“, Rathenower Heimatkalender 1961
Erschienen mit geringfügigen Änderungen am 28. Jan. 2018 in der BRAWO, Lokalausgabe Rathenow