Grüße zum Advent
Der Rathenower Heimatbund e.V. wünscht seinen Unterstützern und seiner werten Kundschaft eine gesegnete Vorweihnachtszeit.
Kurztext: Intershops in der DDR verkauften westliche Waren gegen Devisen und waren in der Anfangsphase ihres Bestens für Einheimische tabu. Ab 1974 durften auch DDR-Bürger begrenzt einkaufen. Rathenow erhielt in den 1980er Jahren einen Intershop, den zweitgrößten im Bezirk Potsdam. Das Geschäft wurde 1990 mit der Wiedervereinigung geschlossen.
Intershop-Geschichten
Der Duft der großen weiten Welt auch in Rathenow
von Hans-Jürgen Wodtke
Alexander Schalck-Golodkowski war mit „seiner“ zum Ministerium für Außen- und Innerdeutschen Handel der DDR gehörenden Abteilung „KoKo“ maßgeblicher Garant für die Devisenbeschaffung. Dabei spielten die rund 470 Intershops im Lande keine unwesentliche Rolle. Fotocollage Wodtke Es gibt wohl kaum einen DDR-Bürger, der je einen Intershop besucht hat und sich nicht an den unglaublichen, nach 1990 nie wieder erlebten und undefinierbaren wie angenehmen Duft in den Verkaufseinrichtungen erinnern wird. Dazu noch das ins richtige Kunstlicht versetzte heißbegehrte westliche Warenangebot in quietschbunter Verpackung. Mindestens so oder vielleicht noch verheißungsvoller musste es im Westen sein! So oder zumindest so ähnlich haben damals nicht wenige Zeitgenossen beim Betreten eines der zahlreichen Intershops im Arbeiter- und Bauernstaat gedacht. Deren Anzahl war bis 1989 auf rund 470 angewachsen. Zu dieser Zeit setzten die exklusiven Verkaufseinrichtungen, in der nur Waren gegen konvertierbare Währung verkauft wurden, jährlich mehr als eine Milliarde D-Mark um. Auch Rathenow erhielt Anfang der 1980er Jahre eine Intershop-Verkaufsstelle. Diese entwickelte sich in den folgenden Jahren zum zweitgrößten Shop im einstigen Bezirk Potsdam.
Erster Intershop auf Bahnhof Friedrichstraße
Die Geschichte des Intershops begann allerdings bereits im Dezember 1962 auf einem S-Bahnsteig auf dem Bahnhof Berlin-Friedrichstraße der nur Transitreisenden zugänglich war. Dort konnten fortan Reisende in einem Kiosk vorwiegend Geschenk- und Genussmittel zu günstigeren Preisen als im benachbarten Westberlin gegen konvertierbare Währungen einkaufen. In den Folgejahren wurden auf Beschluss des SED-Politbüros weitere Intershops, besonders entlang der Transitstrecken und in ausgewählten Hotels auf dem Gebiet der DDR, eingerichtet. Ziel war es, dort Durchreisenden und Touristen ausgewählte und preislich attraktive Waren zum Kauf anzubieten, um so an westliche Währungen zu gelangen. Eine durchaus erfolgreiche Strategie, die auf diesem Wege in den notorisch knappen Staatshaushalt heißbegehrte Devisen spülte.
Für DDR-Bürger hingegen waren diese Orte ihrer Begierde für lange Zeit staatlich kontrollierte Tabuzonen. Und das bezog sich bis Anfang 1974 nicht nur auf das Betreten der Intershops, sondern auch besonders auf den Besitz jeglicher westlicher Währungen.
DDR-Devisengesetz wurde 1973 geändert
Wie ernst es dem DDR-Staat mit diesem Verbot damals war, mussten zwei Kommilitonen von mir im Frühsommer 1973 erleben. Sie hatten sich, von ihrer eigenen Neugierde getrieben, von Westberliner Bekannten überreden lassen gemeinsam einen Intershop in der Berliner Friedrichstraße aufzusuchen. Bereits kurz nach dem Betreten der Verkaufseinrichtungen kam ein Wachmann auf sie zu und bat sie sich auszuweisen. Nur dank des couragierten Eingreifens ihrer Westberliner Freunde gelang es den Beiden sich unkontrolliert noch rechtzeitig zu entfernen. Die Folgen des unerlaubten Besuches hätten damals verheerend für sie sein und zum zeitlich befristeten Studienausschluss für ein Jahr führen können. Eine heute, nach 50 Jahren, grotesk anmutende Geschichte. Zumal bereits am 19. Dezember 1973 das bis dahin geltende Devisengesetz geändert und nun DDR-Bürger offiziell bis zu 500 DM besitzen und auch in einem Intershop einkaufen durften.
Kein ständiger Begleiter des Sozialismus?
In den Folgejahren entstanden nicht nur zahlreiche weitere Shops für die heißbegehrten Westwaren, sondern es kam auch zunehmend zu einer Zweiteilung der DDR-Bevölkerung in die mit und die ohne Zugang zu Westgeld. Zu letzteren gesellten sich noch die staatstragenden und parteipolitischen Kader, denen man offiziell nach wie vor den Zugang zu Westgeld aus ideologischen Gründen verwehrte. In der Folge kursierte damals der Slogan: Lieber ‘ne Tante im Westen als einen Onkel im Politbüro. Auf die wachsende Ungleichheit bzw. Missstimmung in der DDR-Bevölkerung eingehend sah sich Staatsratsvorsitzender Erich Honecker 1977 in einer Volkskammersitzung veranlasst darauf hinzuweisen, dass die Läden selbstverständlich kein ständiger Begleiter des Sozialismus sein werden. Die Folgen dieser Äußerung waren lange Schlangen von Kaufwilligen aus Ost und West vor den Intershop-Läden. Doch wie bekannt, sollte es zur Auflösung der Intershops erst im Frühsommer 1990 kommen.
Westgeld in Forumschecks umtauschen
Schon zu Beginn des Jahres 1977 wurde die „forum HG“, ein zentral geleitetes Organ, das den Valutahandel unter der Regie von Alexander Schalck-Golodkowski in der DDR koordinierte, gegründet. Der „forum HG“ wurden nachfolgend alle Intershops unterstellt. Wahrnehmbar wurde das Unternehmen für die DDR-Bürger mit dem 16. April 1979. Denn ab diesem Tag mussten diese, wenn sie im Intershop einkaufen wollten, ihre Westwährung zuvor bei der Staatsbank der DDR, in die bald als Forumschecks bezeichneten, DDR-internen Zahlungsmittel umtauschen. Käufer aus dem Westen blieben vom Umtausch verschont und konnten weiterhin direkt ihren Einkauf im Shop begleichen.
Intershop in Rathenows Schopenhauerstraße
In den frühen 1980er Jahren bekam auch Rathenow einen Intershop. Wie bereits vorher vielfach an anderen Standorten praktiziert wurde dieser nahe dem Hauptbahnhof, in der Schopenhauer Straße, in einem vorhandenen Gebäude eingerichtet. Im Intershop der Optikstadt, einem der größten Verkaufseinrichtungen im Bezirk Potsdam, waren um die 20 Mitarbeiter tätig. Der Shop war in vier Fachabteilungen untergliedert, in die Bereiche Lebensmittel und Kosmetik, Textilien, Geschenkartikel sowie Elektronik und Heimwerkerbedarf. Im letzteren arbeitete von 1986 bis 1990 der Rathenower Frank Sengespeick erst als Verkäufer und dann als Branchenleiter. „Es war eine schöne Zeit damals,“ so der heutige Versicherungsmakler, „am Morgen ging man zur Arbeit in den Westen und zum Feierabend kam man wieder zurück in den Osten. Und das alles, ohne die Stadt zu verlassen.“ Das Warenangebot,“ so Sengespeick, „war in meiner Abteilung besonders vielfältig wie interessant. Es reichte von hochwertiger Heimelektronik über die breite Heimwerkerpalette von Black & Decker bis hin zu Ölradiatoren.“ Diese wurden bei Kälteeinbruch stets besonders nachgefragt. „Mitunter war die Nachfrage so stark, dass wir die Kaufinteressenten kurzeitig vertrösten und auf einer Warteliste erfassen mussten, bis uns die nächste Warenlieferung erreichte“: so der einstige Intershop-Verkäufer.
Monatlich 30 DDR-Mark in Forumschecks für Mitarbeiter
Ab den 1980er Jahren konnten die Intershop-Mitarbeiter 30 DDR-Mark / Monat ihres Gehaltes in Forum-Checks eintauschen. Die Tauschoption war aber an die Verkaufsergebnisse, die ordentliche Kassenführung und erfolgreiche Diebstahlvorsorge in der jeweiligen Intershop-Verkaufseinrichtung gekoppelt. Nach den gleichen Vorgaben wurde auch über das zentral verwaltete Trinkgeld entschieden und bei Erfüllung der Kriterien zum Jahresende an alle Mitarbeiter ausgereicht.
In der zweiten Jahreshälfte des Jahres 1990 kam es im Zuge der deutschen Wiedervereinigung zur Auflösung des einst erfolgreichen Intershop-Geschäftsmodells.
Erschienen mit geringfügigen Änderungen am 30. Dez. 2023 in der BRAWO, Lokalausgabe Rathenow