Kurztext:
In Böhne erinnert die Geschichte des Bäckermeisters Fritz Küsel an Menschlichkeit in einer unmenschlicher Zeit. Wegen der Hilfe für Zwangsarbeiter bestraft, wurde er zum Symbol für Zivilcourage und Barmherzigkeit in der Zeit des Zweiten Weltkriegs. Küsels Denunziant vermuteten nicht wenige Dorfbewohner in den eigenen Reihen
Bäckermeister Fritz Küsel im Strafbataillon
Wegen etwas Menschlichkeit wurde Böhner Bäckermeister hart bestraft
Von Hans-Jürgen Wodtke
Die einstige Situation der Bäcker auf dem Lande
Die Bäckereiära in Böhne war recht kurz – was für kleine Dörfer in der Region jedoch nichts Ungewöhnliches war. Obwohl das tägliche Brot besonders für die ärmeren Bevölkerungsschichten überlebensnotwendig war, kaufte man es bis weit ins 20. Jahrhundert hinein nur selten beim Bäcker.
Stattdessen gab es auf den Bauernhöfen und Gütern eigene Backöfen, in denen sowohl Brot als auch Blechkuchen gebacken wurden. Um wirtschaftlich zu überleben, mussten sich viele Bäcker daher ein zweites Standbein aufbauen – etwa als Landwirte, Müller oder Händler. Auch in Böhne betrieben die Bäcker parallel kleine Läden für Waren des täglichen Bedarfs bzw. eine Windmühle, um ihr Einkommen zu sichern.
Böhner Dorfstraße, südlicher Dorfausgang, Richtung Bützer/ Vieritz. Auf der linken Straßenseite ist der Opel P4 und direkt gegenüber das Wohn- und Geschäftshaus von Bäckermeister Fritz Küsel abgebildet. Sammlung Wodtke
Fritz Küsel – ein angesehener Bäcker und Geschäftsmann aus Böhne
So versuchte auch Bäckermeister Fritz Küsel, der in den 1930er und frühen 1940er Jahren in Böhne tätig war, den Lebensunterhalt für sich und seine Familie zu verdienen. Dabei war er offenbar recht erfolgreich.
Ein Foto aus jener Zeit zeigt ihn mit seinem Opel P4 – ein Zeichen seines Erfolgs, denn außer Gutsbesitzer von Kluge war er der einzige Böhner Bürger mit einem motorisierten Fahrzeug. Mit dem Wagen führte Küsel auch Taxifahrten in umliegende Orte durch und belieferte zuverlässig und schnell seine Kundschaft in Rathenow.
Durch diese geschäftliche Stabilität konnte er seine Bäckerei in der Dorfstraße weiter ausbauen. Nachbarn beschrieben ihn als sympathischen und großzügigen Mann, der in der Gemeinde sehr beliebt war. Doch sein nettes Wesen sollte ihm schließlich zum Verhängnis werden.
Denunziation und Verurteilung
Vermutlich im Jahr 1942 wurde Fritz Küsel denunziert und anonym beschuldigt, Zwangsarbeitern aus Polen und der Ukraine Brot gegeben zu haben. Eine solche Tat galt im NS-Regime als schweres Verbrechen.
In der Folge wurde er zu mehreren Jahren Zuchthaus verurteilt – ein Schock für seine Familie, seine Nachbarn und viele Kunden. Wer ihn angezeigt hatte, konnte nie zweifelsfrei geklärt werden aber unter der vorgehaltenen Hand wurden durchaus Vermutungen im Dorf geäußert.
Vom Zuchthaus zur Strafdivision 999
Am 2. Oktober 1942 hoben die Nationalsozialisten die sogenannte „Wehrunwürdigkeit“ von Zuchthäuslern auf. Nun durchkämmte man Gefängnisse, Konzentrationslager und Strafanstalten nach Männern, die für den Kriegsdienst geeignet schienen. Diese wurden zu einer Spezialausbildung eingezogen und danach in die berüchtigte Strafdivision 999 überführt.
Die ersten Einheiten dieser Division, die als Afrika-Brigade 999, wurden bereits im Mai 1943 vollständig vernichtet. Weitere Einheiten kämpften später an verschiedenen Fronten, unter anderem in der Sowjetunion. Die Verluste waren immens – ständig wurde „Nachschub“ an Menschen benötigt.
Auch Fritz Küsel wurde 1943 in die Strafdivision 999 eingezogen. Nach seiner Ausbildung war er für den Fronteinsatz vorgesehen. Kurz vor seiner Abreise an die Front erhielt er drei Tage Sonderurlaub – eine ungewöhnliche und kaum erklärbare Geste der Menschlichkeit in dieser Zeit der Barbarei
Küsel kehrte bereits krank nach Böhne zurück, traute sich aber aufgrund seines Status nicht, ins Rathenower Lazarett zu gehen. Später wieder an die Front beordert, verstarb er am 13. Februar 1944 im Lazarett Zyrardów bei Warschau – im Alter von nur 43 Jahren.
Von Hermann Peters übernahm Fritz Küsel einst die Böhner Bäckerei und führte diese bis zu seiner Verhaftung 1942.
Nach dem Krieg – Verlust und Zerstörung der Bäckerei
Nach dem Einmarsch der Roten Armee am 5. Mai 1945 wurde die Küselsche Bäckerei von einem sowjetischen Bäckereikommando beschlagnahmt. Frau Küsel und ihr Sohn wurden aus dem Haus verwiesen.
Bis etwa Juli 1945 wurde das Gebäude zu einer Großbäckerei für die Versorgung von rund 10.000 Rotarmisten im Waldlager zwischen der Böhner Schäferei und Vieritzer Bünsche umfunktioniert.
Nach dem Abzug der Militärbäckerei fanden die zurückgekehrten Küsels Haus und Backstube ausgeplündert vor. Die Bäckerei befand sich in einem katastrophalen Zustand – ein Wiederaufbau war Frau Küsel in den folgenden Jahren nicht mehr möglich. Familie Küsel verzog in der Folgezeit nach Premnitz.