Kurzbeitrag: Der Beitrag schildert die Auswirkungen einiger BBC-Sendungen auf DDR-Bürger im Kalten Krieg – von „Briefe ohne Unterschrift“ bis zu viel beachteten Jugendsendungen mit Beatmusik. In den nachfolgenden Artikel geht es auch um Briefkontrollen durch das MfS, britische Geheimdienstinteressen und erzählt eine persönliche Geschichte, in der ein BBC-Hörerbrief zur Begegnung zweier Menschen und zu einem gemeinsamen Lebensweg führte.
Post an den Klassenfeind
Erlebte Radiogeschichte in der Zeit des Kalten Krieges
von Hans-Jürgen Wodtke
Spezielle BBC-Sendungen für DDR-Bürger
Seit einigen Wochen berichten die Medien in unserem Land über die interessante Sonderausstellung „Briefe ohne Unterschrift“ im Museum für Kommunikation in Berlin. Es geht dort um die Reaktion des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) auf eine von 1949 bis 1974 vom deutschsprachigen Dienst der BBC ausgestrahlten Sendung. In der Reihe „Briefe ohne Unterschrift“ gaben die englischen Radiomacher DDR-Bürgern die Möglichkeit, sich bei weitestgehender Anonymität über Probleme und Nöte in ihrem Umfeld öffentlich zu äußern.
Modifizierter Flyer für eine Sonderausstellung zur BBC, Quelle: Museum für Kommunikation in Berlin Darüber hinaus, jedoch leider in der Ausstellung nicht erwähnt, sendete die BBC zu jener Zeit auch speziell für die DDR-Jugend konzipierte Radiobeiträge. In diesen Sendungen wurden die jungen Leute von den Radiomachern aus dem Londoner Bush House ebenfalls animiert dem Sender zu schreiben, um sich Musikwünsche erfüllen zu lassen und auch aus ihrem Leben zu berichten. Eine Möglichkeit, von der wohl seiner Zeit nur einige Leser Gebrauch gemacht haben werden. Für meine Frau Bärbel und mich hingegen waren diese BBC-Jugendsendungen seiner Zeit ein wichtiger Bestandteil unseres Lebens und endscheidend dafür, dass wir uns einst mit Hilfe des Senders kennenlernten.
Historischer Hintergrund des BBC-German Service
Aus Filmen, Fernsehbeiträgen oder Erzählungen der Altvorderen, die in der Zeit des Dritten Reiches angesiedelt sind, weiß nahezu jeder vom deutschsprachigen Dienst der BBC aus London. Weiterführend heißt es in der Ausstellung dazu: „Der German Service der BBC wird im September 1938 ins Leben gerufen. Im Zweiten Weltkrieg entwickelt sich der Dienst zu einer zuverlässigen und wertvollen Informationsquelle für Millionen von Zuhörern in Deutschland. 1946 kommt es fast zur Schließung des German Service, doch das Außenministerium des Vereinigten Königreichs setzt sich vehement für dessen Erhalt ein, um im besetzten Deutschland ‘die Fühler Großbritanniens auszustrecken‘. Am 4. April 1949 startet der German Service ein nächtliches „German East Zone“-Programm, das sich speziell an Zuhörer in der ‘Sowjetzone‘ richtete. [Im Laufe der nächsten Jahre wird der deutschsprachige Dienst massiv ausgebaut und die Sendezeiten stark erweitert.] 1973 erkennt Großbritannien die DDR an und richtet eine Botschaft in Ost-Berlin ein. Darauf stellt das Programm für Ostdeutschland 1975 seinen Betrieb ein, lediglich ein Deutschland übergreifender Dienst bleibt erhalten.“ Während der deutschsprachige Dienst der BBC in Deutschland überwiegend über die Mittel- und Kurzwelle gehört wurde, machte die Region in und um Berlin eine Ausnahme. Das Programm kam per Kabel in die geteilte Stadt und wurde ab Anfang der 50er Jahren von einem UKW-Sendemast im Olympiastadion ausgestrahlt. Von hier konnte man den Sender, anders als in der Ausstellung behauptet, auch bei uns in der Region mit brillanter Qualität empfangen. Diese gute Sendequalität erfreute uns „Tonbandamateure“ von einst sehr und machte die überaus gut aufgemachten Jugendsendungen zu beliebten Mitschnittsendungen.
Modifizierte frühzeitliche QSL-Karte (Sendeempfangskarte) der BBC London. Damals in der DDR extrem begehrt aber leider kaum zu bekommen.Sammlung Wodtke
Umgang in der DDR mit Westmedien
Westradio hören und Fernsehen aus dem Westen sehen war in der DDR nie verboten. Allerdings gab es in den 1950er und frühen 1960er Jahren immer wieder von den politisch Verantwortlichen in der DDR angestoßene Kampagnen gegen den Konsum von Westradio und -fernsehen. Doch diese zum Teil sehr rüde umgesetzten Aktivitäten brachten nie längerfristige und wenn überhaupt nur lokale Erfolge. In jedem Fall verstärkte es bei den Betroffenen den ohnehin vorhandenen latenten Groll gegen die politisch Mächtigen im Arbeiter- und Bauernstaat.
Wesentlich kritischer ging die DDR-Justiz gegen die direkte Kontaktaufnahme der DDR-Bürger zu Westsendern vor. Dazu hieß es im Strafgesetzbuch der DDR vom 12. Januar 1968: „Wer zu Organisationen, Einrichtungen, Gruppen oder Personen wegen ihrer gegen die DDR oder anderer friedliebenden Völker gerichteten Tätigkeit Verbindung aufnimmt, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu fünf Jahren bestraft. [Auch] der Versuch ist strafbar.“ Dass dieses Gesetz dennoch zahlreiche DDR-Bürger nicht davon abhielt, sich mit ihren Anliegen unterschiedlichster Art an „ihre„ Sender im Westen zu wenden, belegt die Sonderausstellung in Berlin sehr eindringlich. Damit die Hörerbriefe überhaupt im immer dichter werdenden Kontrollsystem des MfS ankamen verwendeten die Sender Deckadressen. Die BBC nutzte ab Mitte der 1950er Jahre ständig wechselnde Adressen von Brachflächen oder Trümmergrundstücken im britischen Sektor von Berlin. Die dorthin adressierten Postsendungen wurden von den entsprechenden Westberliner Postämtern gesammelt und dem Berliner Büro der BBC zur weiteren Bearbeitung übergeben.
Reaktionen des MfS und Strafandrohung
Dem MfS wurde recht bald die Sendung „Briefe ohne Unterschrift“, die jeden Freitagabend lief, ein „Dorn im Auge“. Schnell wurde dort diese BBC-Reihe zur Hetzsendung deklariert, mit der der Westen die „politisch-ideologische Zersetzung der DDR-Bürger“ voranzutreiben versucht. In der Folge reagierte das MfS mit Maßnahmen, die von der Überwachung und Kontrolle über repressive Methoden bis hin zur Strafverfolgung von Briefeschreibern reichten. In der Ausstellung wird anschaulich an mehreren Beispielen gezeigt wie die DDR-Kontroll- und Strafbehörden in einigen Fällen vorgegangen sind und wie die Enttarnung und Aburteilung der Briefeschreiber erfolgte. Auch wenn man als Betrachter noch so sehr versucht, sich heute in die Zeit des Kalten Krieges zurückversetzen zu wollen, bleibt zum einen einiges an Unverständnis was die Briefeschreiber damals angetrieben haben mag und sie erreichen wollten. Zum anderen lassen das Maß der Bestrafung für die „Taten“ immer noch erschauern und machen die Ausstellung sehenswert, wie den Besucher nachdenklich.
Der von seinen Hörern damals hochgeschätzte Peter Sahla im Funkhaus der BBC in London. Sammlung Wodtke
Selbst erlebt
Was der Ausstellung allerdings vollkommen fehlt, ist die Auseinandersetzung mit den Geheimdiensten auf britischer Seite. Denn nur aus lauter Menschenfreundlichkeit hat Britannien weder den Sender über Jahrzehnte betrieben noch derartige Sendungen am Laufen gehalten. Die Briefe, auch die an unsere geliebten Jugendsendungen, wurden immer auch an den britischen Geheimdienst zur Auswertung weitergereicht. BBC-Moderator Peter Sahla hat in einem Interview mit der ARD dieses damalige Prozedere glaubhaft bestätigt. Diese Vorgehensweise, ob nun dem MfS bekannt oder nur vermutet, machte auch die Mitarbeiter des deutschsprachigen Dienstes der BBC zu Personen, die es zu überwachen galt. In der Folge wurde das Berliner Büro der BBC und deren Mitarbeiter akribisch überwacht sowie der Inoffizielle Mitarbeiter „Carolus Winter“ durch den MfS dort eingeschleust.
Wie eingangs bereits erwähnt, gibt die ansonsten gut gelungene Sonderausstellung keine Hinweise auf weitere BBC-Sendungen, die man als Hörer mitgestalten konnte. Zu jener Zeit waren das für uns junge Leute vorrangig die Beat- und Rockmusiklastigen Formate „Platten à la carte“, „Eine kleine Beatmusik und "Friendly Fan Club " mit den Moderatoren Marina von Senger, Peter Sahla und Gundram Kremer. Über diese konnten sich besonders die Hörer aus dem Osten ihre Lieblingsmusik bestellen und so sie wollten, mit einem Textbeitrag aus dem eigenen Leben berichten. Wenn man Glück hatte und die Postsendung wurde nicht abgefangen, spielten die Moderatoren dann irgendwann in bester Qualität, vom ersten bis zum letzten Ton, die heißbegehrte Wunschmusike zum Aufnehmen auf Band. Die absolute „Krönung“ war dann noch die Verlesung des eingesandten Brieftextes. Soviel Glück hatten nur einige. Ich gehörte vor 49 Jahren zu diesen Wenigen und war verständlicherweise unglaublich stolz darauf. Auch meine Frau Bärbel, von der ich bis dato keine Kenntnis besaß, sowie eine gemeinsame Freundin hatten das Radio-Spektakel an ihren Radiogeräten miterlebt. Die Freundin hatte, trotz meines von mir gewählten Decknamens sofort gecheckt, dass es sich nur um meine Person handeln konnte. Das erzählte sie dann am nächsten Tag Bärbel und stellte uns nur wenige Tage später bei einer Party einander vor. Von da an waren wir nicht nur mit den Beatmusiksendungen von BBC London, sondern auch miteinander unzertrennlich verbunden. Schade nur, dass die heißgeliebten BBC-Sendungen nicht mehr so lange durchgehalten haben. Aber, wie heißt es doch so schön: man kann im Leben nicht alles haben.
Erschienen mit geringfügigen Änderungen am 12. Juli 2020 in der BRAWO, Lokalausgabe Rathenow